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GaDeWe

Galerie des Westens
Reuterstr. 9 - 17
28217 Bremen
Tel. 0421 - 380 79 90; Fax 0421 - 380 79 99
Di 15 - 19 Uhr, Do 15 - 21 Uhr, Fr 15 - 18 Uhr
http://www.gadewe.de
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08.06. - 13.07.2001


Göran Gnaudschun

Vorher müsst ihr uns erschiessen.


Dreieinhalb Jahre fotografierte ich in besetzten Häusern in Potsdam. Es gibt hier eine recht starke Besetzerszene, die sich seit 1989 als eine Art Gegenkultur entwickelt hat, mit eigenen Normen und Wertvorstellungen, eigenen Veranstaltungsorten und Kneipen.

Der Grund, in besetzte Häuser zu ziehen, ist oft der Wunsch, dem "bürgerlichen" Leben zu entfliehen und sich ein eigenes, unabhängiges Leben zu schaffen, in einer Gemeinschaft zu leben und anarchistische sowie autonom-demokratische Gesellschaftsmodelle im kleinen Rahmen zu testen.

In der Zeit zwischen dem Herbst 1989 und 1990 herrschte in der ehemaligen DDR ein rechtsfreier Raum. Es wurden die ersten Häuser besetzt. Alles schien möglich und alles war offen. Jedoch zeigte sich bald, dass sich die Gesellschaft nicht in der Weise bewegen ließ, wie es viele Aktive der Wendebewegung gehofft hatten. Die Menschen, die davon der Hausbesetzerbewegung angehörten, radikalisierten sich einerseits, traten auf der anderen Seite aber auch den Rückzug in eben diese selbstgeschaffene Freiräume an. Es wird in den Häusern seitdem versucht, je nach Mentalität und Anspruch die eigenen Lebensvorstellungen umzusetzen.

Da allen klar ist, daß es nicht immer diese Freiräume und Nischen geben wird, die die besetzten Häuser bieten, und daß spätestens in den nächsten Jahren auch die letzten Häuser noch geräumt werden, hat sich eine "jetzt-erst-recht"-Mentalität durchgesetzt. Es ist die Gewißheit des Scheiterns, verbunden mit dem Gefühl, es trotzdem tun zu müssen. Utopie als Mittel, um sich die Kraft zu bewahren, die eigene Haltung zur Welt zu verteidigen.

Ich fotografiere, um das, was unwiederbringlich verloren geht - mir wichtige Menschen, Dinge und Erlebnisse, wenigstens visuell festzuhalten, um sie in Bildern und dann bei deren Zusammenstellung zu verdichten - zu einer ganz bestimmten Aussage über diese ganz bestimmte Zeit.

Diese Arbeit ist zum Teil autobiographisch, ein Nachspüren meiner eigenen Vergangenheit, als dieses Leben für mich so selbstverständlich war, daß ich es nicht für fotografierenswert hielt. - Doch um zu beobachten, braucht man wahrscheinlich ein Stück Distanz, es ist sonst alles zu nah, wird unscharf oder nur privat.

Durch diese Beschäftigung rriit der Vergangenheit an Menschen der Gegenwart entsteht für mich gleichzeitig ein Stück Biografie eines Teils einer Generation, eines Lebensgefühls, das den Protest gegen bestehende Herrschafts- und Besitzverhältnisse in eigene Lebens- und Verhaltensvorstellungen umwandelt und mischt mit den Ansprüchen an ein ganz normales, aber eigenes Leben.

Um diesem Leben in meiner Arbeit besser gerecht werden zu können, führe ich verschiedene Ebenen ein, die unterschiedlich fotografiert sind und die sich gegenseitig ergänzen sollen. Die erste Ebene, von der Anzahl der Fotos die größte, besteht aus Bildern, die situativ fotografiert wurden, in der meine Bildsprache und meine Subjektivität das tragende Element sind.

In den Portraits, der zweiten Ebene, will ich Platz lassen für Assoziationen. Die abgebildeten Menschen sollen zur Ruhe kornmen, sollen das Gefühl vermitteln, daß sie bei sich sind. Im Gegensatz zu den situativen Bildern vom Leben, denen eine gewisse Direktheit eigen sein muß, ist der Eindruck von Unbestimmtheit in den Portraits von mir gewollt.

Die dritte Ebene besteht aus Fremdmaterial: private Fotos einiger Bewohner. Ich erhoffe rnir eine andere Art der Unmittelbarkeit, ich will, daß dadurch Lücken geschlossen werden, die ich als Beobachter gelassen habe. Ich fotografiere diese Bilder so ab, daß Oberfläche oder Untergrund auf den zweiten Blick hin sichtbar werden. Damit will ich den Reproduktionscharakter eindeutig herausstellen, aber auch ein neues Bild erzeugen.

Das Ganze ist ein Flechtwerk, indem die drei Ebenen durch die unterschiedlichen Größen an der Wand miteinander verwoben werden. Ich will, daß sich eine große Form ergibt, daß sich jedes Bild gegenseitig bedingt, Kontraste und Entsprechungen auftreten, daß man das Werk als Ganzes empfindet, beim näheren Hinsehen kommen Einzelbilder zum Vorschein: man kann Details ausmachen, man erkennt einzelne Personen wieder, in unterschiedlichen Situationen, an Orten, die auch immer wieder auftauchen.

Zum Titel: "Vorher müßt ihr uns erschießen." entstand als Transparent auf einer Demonstration im Sommer 1997. Der Innenminister des Landes Brandenburg gab damals bekannt, daß die Polizisten nur noch bewaffnet in Situationen gehen, die zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Hausbesetzern und Polizei führen können.

Ich will bestimmte Situationen nicht zeigen, die als Klischees von den Medien schon über Gebühr publiziert worden sind. Deshalb setz ich den Bildern diesen Titel entgegen, der über dem privaten Raum die politische Ebene aufspannt, sich aber dann durch das Pathos selbst in Frage stellt.

Diese Arbeit ist eine Erinnerung an eine Jugend und an ein freies, selbstgewähltes Leben, sie ist auch politisch - aber keine Reportage. Mir geht es um die künstlerische Darstellung einer Lebensform, ohne den voyeuristischen, journalistischen oder ethnologischen Blick. Die Bilder sollen weitere Assoziationen und Aussagen zu allgemeineren Themen wie Jugend, Leben und Gesellschaft zulassen.

Ausstellungseröffnung: Freitag, 08.06.2001, 20.00 Uhr

 

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