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Kunstverein Friedrichshafen

Buchhornplatz 6
88045 Friedrichshafen
Tel. 07541 - 219 50, Fax 07541 - 342 06
Di - Fr 14 - 17 Uhr, Sa, So 11 - 17 Uhr
kunstvereinfn@aol.com
www.kunstverein-friedrichshafen.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

26.07. - 20.09. 2009

Sabine Groß

Dauerbrenner

Was Sie heute hier im Kunstverein vorfinden, sind "Ausgrabungsstücke" und "Unfallopfer". Dem ersten begegnen wir gleich hier in einer Bodenarbeit, die aussieht, als wäre ein Square von Carl Andre vor dem Verfall gerettet worden. Von den minimalistischen Metallplatten, die sich bei Andre ursprünglich zu einem raumgreifenden Quadrat zusammenfügten, sind hier allerdings nur noch angerostete Reste geblieben, mit Fehlstellen und seltsam auslaufenden Kanten. Scheinbar. Das Kunstwerk ist aus den Fugen geraten, hat seine ideale Form verloren und zurückgeblieben ist ein Rest, ein Fragment, in das sich die Zeit eingeschrieben hat. Wenn wir diesem äußeren Schein glauben, dann setzt Groß in ihren Skulpturen auf drastische Weise um, was Carl Andre Ende der 60er Jahre über seine Arbeiten formuliert hat: " Ich bin nicht daran interessiert mit meinen Werken einen Idealzustand zu erreichen. Wenn die Menschen darüberlaufen, wenn der Stahl rostet, der Ziegel zerfällt, die Materialien verwittern, wird das Werk seine eigene Aufzeichnung dessen, was ihm widerfahren ist."1 Und doch mutet dieser Anspruch für die Arbeiten von Sabine Groß seltsam an, wenn wir uns ihre früheren Werke und Konzepte in Erinnerung rufen, die sich selbstbewusst-kritisch oder auch ironisch mit Kunstgeschichte auseinandersetzen, und so gar nichts mit dem Pathos minimalistischer Kunst gemein haben.
Mit ihrer scheinbar zerstörten, im Verfall begriffenen Skulptur Gefunden, bewegt sich Sabine Groß auf neuem Terrain, denn es geht ihr um die Idee, dass ein kunsthistorisch bedeutendes Werk unserer Zeit in einem neuen kulturellen Zusammenhang in der Zukunft aufgefunden und als Ausgrabungsstück präsentiert wird. Damit stellt sich die Frage, ob das so verfremdete Objekt noch dem entspricht, was wir ihm als Werk zuschreiben und wie sich dabei unsere eigene Wahrnehmung verändert.

Dass es sich dabei nicht wirklich um ein Fundstück handelt, wie der Titel zunächst nahelegt, lässt sich bei näherer Betrachtung erkennen: Denn Gefunden besteht keineswegs aus verwitterten Metallplatten, sondern ist eine gegossene Skulptur aus Acrylharz, die erst durch eine aufwändige Patina als das erscheint, was sie nicht ist. Dabei legt die Künstlerin sehr großen Wert auf die Rekonstruktion von Oberflächen, das heißt, sie strebt eine Wirkung an, die darauf aus ist uns zu täuschen. So schafft sie eine virtuelle Realität, die an die Stelle der Materialität tritt. Form, Material und Bedeutung treten in eine kontingente Beziehung, die Einheit von Oberfläche und Material löst sich auf. Wenn wir davon ausgehen, dass Skulptur historisch gesehen maßgeblich über ihre Materialität definiert wird, dann geht es Sabine Groß um nichts Geringeres, als die Materialität und damit die Strukturen in Frage zu stellen, die der Skulptur ihre historische Grundlage und Bedeutung verleihen.
Während ihre Objekte uns auf den ersten Blick glauben lassen, dass es sich um wirkliche Relikte und Ausgrabungsstücke handelt, erscheinen sie gleichzeitig so überzeichnet, dass wir ihnen und dem ihnen widerfahrenen Unheil misstrauen sollten. Tatsächlich sind die Skulpturen von Sabine Groß so bearbeitet, dass sie gewisse Widersprüche aufwerfen: Ohne Titel (White Cube) (2008) steht mit seiner glänzenden, makellosen Oberfläche scheinbar ganz im Zeichen einer minimalistischen Ästhetik, die dann auf einer Seite gebrochen wird, wo der Kubus sich nach außen wölbt und aufgerissen ist. Die Skulptur gibt in dieser Öffnung ein organisch anmutendes, rohes Inneres zu erkennen, das ihrem minimalistischen Äußeren diametral entgegensteht. Allerdings sind Sabine Groß' ,Zerstörungen' das Ergebnis ausgefeilter künstlerischer Gestaltung: die "ausgefransten" Ränder des verformten Kubus sind so bearbeitet, dass sie eine kalkulierte Ästhetik erkennen lassen, die nicht von aggressiven Eingriffen herrührt, auch wenn es so scheint.
Auf diese Weise dekonstruiert die Künstlerin kunsthistorische Positionen und Ideologien, um das mit kunstgeschichtlicher Bedeutung aufgeladene Werk in einen anderen Zustand und Zusammenhang zu überführen, in dem wir uns den ästhetischen und inhaltlichen Fragen, die bekannte Kunstwerke aufwerfen, neu stellen müssen. Was passiert, wenn die makellose Oberfläche eines minimalistischen Kubus aufgebrochen wird? Welchen ästhetischen Gradmesser müssen wir anlegen, wenn sich das berühmte Werk nicht mehr den bisherigen Erwartungen fügt? Dürfen wir seiner Form und Erscheinung überhaupt noch trauen? Was geschieht bei der Betrachtung von Duchamps Fountain, wenn das Pissoir wie hier nur noch in Einzelteilen als Ausgrabungsstück zu sehen ist, und diese noch seltsam vergrößert erscheinen?
Im Jahr 1917, als Duchamp das mit R.Mutt signierte, umgedrehte Urinoir bei der Ausstellung der Independents in New York einreichte, wurde es von der Jury mit der Begründung abgelehnt, es sei "unmoralisch und vulgär"2. Diese Provokation bleibt auch bei Groß zunächst bestehen. Das Verworfene findet ein Bild, bleibt aber unwirksam, weil seine organischen Qualitäten auf die Oberfläche reduziert sind und das ursprüngliche Objekt des Anstoßes, das Pissoir, nur noch als Fragment vorhanden ist. Während es Duchamp darum ging, einen Gebrauchsgegenstand in den Ausstellungskontext zu überführen, um ihn damit überhaupt erst als Kunstwerk sichtbar zu machen, fragmentiert Sabine Groß eben dieses ­ für uns bereits zur Ikone erhobene ­ Kunstobjekt und tut so, als würde sie ein für spätere Generationen völlig unbekanntes Fundstück in einem neuen Ausstellungskontext präsentieren. Damit zeigt sich das Objekt als künstlerische Inszenierung und erweist sich als ebenso konstruiert wie die idealisierte Form selbst.
Sabine Groß formuliert mit ihrer Kunst über die Rezeption von Kunst einen ausgesprochen selbstbewussten, kritischen Umgang mit etablierten künstlerischen Positionen, zu denen inzwischen auch radikale, antimodernistische Äußerungen, wie Dada und Anti-Form gehören. Hinter dieser Haltung steht eine sehr aktuelle, zeitgemäße Auffassung von Kunst, die den Mythos des Werks als Konstruktion begreift und auch als solche zu sehen gibt.

Und auch in ihren jüngsten Wandarbeiten konfrontiert uns Groß mit Kunstwerken, die scheinbar dramatischen Veränderungen ausgesetzt waren: leere, von Wasserflecken überzogene Leinwände, die aussehen, als hätte man sie in Bruchstücken mitsamt der sie umgebenden Wand vom Unglücksort gerettet. Doch was wir für zerstörte Gemälde halten, ist Skulptur. Die Leinwand besteht aus Acrylharz und die "Wasserflecken" aus Tee. Mit diesen nicht-malerischen Mitteln geht es der Künstlerin darum einen Bildraum herzustellen wo Fläche zu vermuten wäre und so die Entscheidung über Zwei- und Dreidimensionalität zu verunklären. Was bei den Bodenskulpturen wie schwere Metallplatten anmutet, ist leicht. Was wie Leinwand erscheint, hat Gewicht. Nicht ohne Ironie betrachtet Groß also eingefahrene Oppositionen, wie Original/Fälschung, Vorbild/Abbild oder die "Wirklichkeit" zwei- bzw. dreidimensionaler Objekte. Auch ihr "Drama I" ist dafür ein wunderbares Beispiel: Der Keilrahmen eines monochromen Gemäldes ist an mehreren Stellen gebrochen und die Leinwand so in sich zusammengesunken, dass sich in einer tiefen Falte Farbe gesammelt hat, die aus dem Bild herauszulaufen scheint. Die Künstlerin hat die Materialität der Farbe wörtlich genommen und die Bedeutungsschwere Konkreter Kunst so ins Plastische übertragen, dass sie vor unseren Augen buchstäblich in sich zusammensinkt.
In all diesen Werken von Sabine Groß äußert sich ein radikaler Anspruch: die Mythen und Ikonen der Kunst in ihrer Konstruiertheit vorzuführen, die fester Bestandteil kunsthistorischer Praktiken ist. Und zu zeigen, dass das Kunstwerk selbst in diesem Prozess eine dramatische Veränderung erleidet. Es wird zum "Unfallopfer" einer Rezeption, die ihre eigenen Interessen verfolgt. Wenn Groß in ihren Skulpturen Oberfläche und Material voneinander löst, entzieht sie historischen Definitionen von Skulptur die Grundlage und befreit das Kunstwerk von einem Pathos, das seiner Mythisierung Vorschub leistet. An deren Stelle treten bei Groß keine neuen Wahrheiten, sondern Artefakte, die von der Einsicht geprägt sind, dass es zwischen Form, Material und Bedeutung nur eine kontingente Beziehung geben kann.

 

Zum Werk von Sabine Groß erscheint Anfang September ein Katalog. Den Termin dieser Buchpräsentation werden wir über die Presse bekanntgeben.

1 Carl Andre zit.n. D. Gust, "Andre. Artist of transportation".
In: The Aspen Times, 18.7.1968, Aspen/Colorado. Zit. n. der Übersetzung in: Gerhard Bott (Hg.) Bildnerische Ausdrucksformen (Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 1970) S. 19

2 Es besteht der Verdacht, dass Duchamps Fountain nach dieser
Einreichung aus dem Weg geräumt wurde. Sie ist nie wieder aufgetaucht.

 

Dienstag bis Freitag 14 bis 17 Uhr
Samstag, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr

Kuratorin Dr. Andrea Jahn

 

 

Sabine Groß lebt und arbeitet in Berlin
1985­91 Akademie der Bildenden Künste München; seit 2009 stellv. Professur für Bildhauerei, Akademie der Bildenden Künste Mainz; 2007­ 2009 Lehrauftrag für Skulptur an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig in Verbindung mit dem Dorothea-Erxleben-Stipendium; 1998 Arbeitsstipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg; 1994/95 Cité Internationale des Arts, Paris; 1992/93 Stipendium des DAAD für New York an der School of Visual Arts

Ausstellungen Auswahl
2009 Dauerbrenner, Kunstverein Friedrichshafen (s) ; Ruhende Reste, Hochschulgalerie Akademie der Bildenden Künste Braunschweig (mit S. Alhäuser und G. Grundmann); Die Kunstkammer No. 2 ­ Sabine Groß, Georg-Kolbe-Museum, Berlin (s); The artist in the (art) society, Kunsthalle Palazzo, Liestal/Basel 2008 excavation chic, Galerie Magnus Müller (s) 2007 Bodycheck ­ 10. Triennale Kleinplastik, Fellbach 2006 Neue Arbeiten, Galerie Magnus Müller, Berlin (s); Galerie Hafemann, Wiesbaden 2005 It's A Long Way Home, Stadthaus Ulm (s) 2004 Kunst muss aus der Stille kommen ­ critic's choice 2, Neuer Berliner Kunstverein (s); Folkwang Museum Essen 2003 Museum a. Ostwall, Dortmund (s); Brainstorming, Pfalzgalerie Kaiserslautern (s) 2002 Expedition Multiversum, Kunsthalle Wilhelms-haven (s); Easy Looking, Kunstverein ­ Albrecht Dürer Gesellschaft, Nürnberg (s); Wiedervorlage d5 ­ Eine Befragung des Archivs zur documenta 1972, Kunst­halle Wien 2001 Fashionloop, Kunsthalle Göppingen C1 (s); The Big Nothing, Kunsthalle Baden-Baden 2000 ein|räumen Arbeitsfeld Museum, Hamburger Kunsthalle; Ich ist etwas Anderes, Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Kunstsammlung Nordrhein Westfalen 1999 Classics & Extras, Kunstverein Leipzig (s); Artist Tools, Studio II, Künstlerhaus Bethanien (s), Berlin 1998 Deep Storage ­ Arsenale der Erinnerung, Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, PS 1 New York, Henry Art Gallery Seattle 1997 Deep Storage ­ Arsenale der Erinnerung, Haus der Kunst München, National-galerie Berlin; Magie der Zahl, Staatsgalerie Stuttgart

 

Dienstag bis Freitag 14 bis 17 Uhr
Samstag, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr

Kuratorin Dr. Andrea Jahn

 

 

 

 

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