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Museum für Moderne Kunst

Domstraße 10
60311 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 212 30 447; Fax 069 - 212 378 82
Di - So 10 - 17 Uhr, Mittwoch 10 - 20 Uhr, Montag geschlossen
mmk@stadt-frankfurt.de
http://www.mmk-frankfurt.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

29.09.2000 - 04.03.2001


Szenenwechsel XVIII

Gilbert & George "The General Jungle", 23 großformatige Kohlezeichnungen, 1971
Jock Sturges Fotografien, 1980-1995
Barbara Klemm Fotografien aus Südamerika, Südafrika, China und Indien, 1974-1989
Alexander Roob 234 Zeichnungen, 1999, zum Zyklus "18. Oktober 1977" von Gerhard Richter
Rosemarie Trockel "Prisoner of Yourself", Wandzeichnung, 1998
Katharina Fritsch "Mönch", Skulptur, 1999
Markus Raetz Zeichnungen und eine Skulptur, 1992/93
Felix Gonzalez-Torres Werke von 1988 -1995
Jochem Hendricks "33", Zeichnungen, 1985
Franz Gertsch Holzschnitte, 1988-1993
Rémy Zaugg Schriftbilder, 1978-1991

Werkdialoge
Robert Gober und Andreas Slominski, Andreas Gursky und Thomas Bayrle, Thomas Ruff, Walter De Maria und Benetton Kampagne, 1999, Reiner Ruthenbeck und Blinky Palermo, Miriam Cahn und Cecilia Edefalk

Das Museum für Moderne Kunst zeigt grundsätzlich keine Wechselausstellungen. Unser Auftrag lautet vielmehr, eine Sammlung zeitgenössischer Kunst zu erstellen. Wenn wir dennoch von Zeit zu Zeit von dieser Regel abweichen, wie im Falle der frühen Zeichnungen von On Kawara (Januar bis Mai 1994), der Ausstellung "Views from Abroad" (Januar bis Mai 1997), der Werkübersicht von Vija Celmins (Juni 1997 bis Januar 1998), einer Auswahl von Arbeiten von Alighiero Boetti (Januar bis Mai 1998) und der Retrospektive von Bill Viola (Februar bis April 1999), dann aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die Datumsbilder von On Kawara sind bei uns ständig zu sehen, von Alighiero Boetti besitzen wir einige Hauptwerke, die es zu ergänzen galt, und bei der Zusammenarbeit mit dem Whitney Museum of American Art folgten wir einer Einladung des renommierten New Yorker Museums, dessen Sammlung mit unseren eigenen Werken sowohl in New York als auch in Frankfurt zu erforschen. Etwas anderes war es bei Vija Celmins. Eine Werkgruppe dieser Künstlerin in die ständige Sammlung einzubeziehen, wäre ein großer, heute wohl kaum noch realisierbarer Wunsch..Ebenso wie die Integration von Werkgruppen von Eric Fischl, Alex Katz und Neil Jenney liegen derartige Wünsche weit außerhalb unserer Möglichkeiten. Und so haben wir das, was wir nicht dauerhaft mit unserer Sammlung verbinden können, wenigstens für einen kurzen Zeitraum mit dieser vereint.

Auch von Lucian Freud (*1922) besitzen wir keine Werke und sind dennoch überzeugt, daß seine Bilder im Zusammenhang mit unserer Sammlung einmal gezeigt werden müssen. Lucian Freud ist ein Enkel Sigmund Freuds. Seine Familie emigrierte 1933 von Berlin nach England. Unabhängig von allen Zeitströmungen hat Freud, der 1939 britischer Staatsbürger wurde, eine ungewöhnlich eigenständige und absolut überzeugende Position innerhalb der figurativen Malerei entwickelt. Im Mittelpunkt seiner Bilder steht immer der Mensch und sein Körper. Die Ausstellung mit dem Titel "Naked Portraits" zeigt eine konzentrierte Auswahl von Malereien, Zeichnungen und Radierungen des Künstlers von den 40er bis zu den 90er Jahren. Ein Katalog informiert ausführlich über diese Ausstellung.

Insgesamt hält der Szenenwechsel XVIII mit 19 völlig neuen Raumsituationen eine der umfangreichsten Veränderungen bereit, die wir seit der Eröffnung des Museums im Juni 1991 im Hause vorgenommen haben. Möglich wurde er erst durch eine großzügige Spende der Helaba. Mein herzlicher Dank geht deshalb an Herrn Walter Schäfer, Vorsitzender des Vorstandes, der unsere Arbeit mit großem Interesse, mit Neugier und Zuneigung begleitet hat.

Ein zentrales Anliegen des Szenenwechsels ist es, überraschende Begegnungen von Werken unserer Sammlung mit jüngsten Neuerwerbungen zu ermöglichen. Ergänzt werden die Neuerwerbungen durch ausgewählte Leihgaben, die wir uns im Kontext unserer Sammlung schon lange gewünscht haben.

Die britischen Künstler Gilbert Et George (*1943/*1942) bespielen den großen Dreiecksraum im Erdgeschoß. In dichter Folge ist hier mit "The General Jungle or Carrying On Sculpting" (Das Allgemeine Dickicht oder die Weiterführung der Skulptur) einer der frühesten und umfangreichsten Bilderzyklen des Künstlerduos zu sehen. Das 23 großformatige Kohlezeichnungen umfassende Werk entstand im Spätsommer 1971 und wird zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. Die Zeichnungen verbinden die radikale Haltung der "Living Sculpture", die Gilbert Et George seit 1967 konsequent vorführen, mit der Tradition der englischen Landschaftsmalerei. Sprachliche Elemente, die - Untertiteln ähnlich - programmatische Statements der Künstler am Anfang ihrer Karriere zur Anschauung bringen, ergänzen die Bilder. Der komplette Zyklus, zweifellos eine der faszinierendsten Arbeiten von Gilbert Et George, wurde aus drei Privatsammlungen in Amerika, der Schweiz und Holland zusammengetragen.

Von Robert Gober (*1954) und Andreas Slominski (*1959) haben wir erstmals Arbeiten in einem offenen dialogischen Zusammenspiel vereint. Der sogenannte "Drain Man" von Robert Gober aus dem Jahre 1993, ergänzt um neue Grafiken, wird konfrontiert mit zwei neuerworbenen Vogelfallen von Andreas Slominski. Es sind existentielle Fragen, die die Künstler auf ganz unterschiedliche Weise stellen. Beide erkunden eine intime Innenwelt, beide sprechen von Verletztheit in einer anthropologischen Dimension, beide setzen Opfer und Täter in eins. So wie der Körper zur Falle von Obsessionen werden kann, zielen Fallen nicht nur auf den Körper, sondern haben selbst körperliche Dimensionen. Und wie die Fallen von Slominski von Verletztheit sprechen, zeigen die Arbeiten Gobers die Verletzlichkeit.

Im Raum unter der Treppe des Erdgeschosses zeigen wir nach längerer Zeit wieder einige Fotos von Jock Sturges (*1947). Sturges radikalisiert Schönheit bis an die Schmerzgrenze. Die Bildnisse heranwachsender Menschen gehören zum stärksten, was im Bereich des sich Erahnens geschaffen wurde.

Von Barbara Klemm (*1939) haben wir seit 1991 eine Sammlung von mittlerweile 180 Werken zusammengetragen. Ganz bewußt zeigen wir im Anschluß an die umfangreiche Präsentation dieser bedeutenden Reportagefotografin im Historischen Museum Berlin und in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt eine Auswahl außereuropäischer Motive. Während in den beiden großen Ausstellungen die Bilder aus Deutschland im Mittelpunkt standen, liegt der Schwerpunkt unserer Auswahl auf Motiven aus Südamerika, Südafrika, China und Indien.

Von Andreas Gursky (*1955) ist eine großformatige Fotografie von 1999 mit dem Titel "99 Cent" zu sehen. Thema ist die Warenwelt der Kaufhäuser und deren Repräsentationsästhetik. Ähnlich wie Jeff Wall nutzt Gursky den Computer, um seine Bilder nachzubearbeiten. Ziel ist es stets, ihre Prägnanz und Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Der Fotografie "99 Cent", einer Leihgabe des Künstlers, werden grafische und plastische Arbeiten von Thomas Bayrle (*1937) aus unserer Sammlung gegenübergestellt, die 30 Jahre früher entstanden sind und eine erstaunliche formale Verwandtschaft zeigen.

Seit der Eröffnung gehörte Gerhard Richters Gemäldezyklus "18. Oktober 1977" zu den Hauptwerken des Museums. Vom Künstler ursprünglich dem MMK als Dauerleihgabe überlassen, entschied Richter zur allgemeinen Überraschung, den Zyklus an das Museum of Modern Art in New York zu verkaufen. Alexander Roob (*1956) hat sich mit dem vielleicht wichtigsten Werk von Gerhard Richter auf unglaublich intensive Art zeichnerisch auseinandergesetzt. In über 360 Einzelblättern protokollierte Richter mehrere Wochen lang den Raum und seine Besucher und schließlich auch den traurigen Zeitraum der Abhängung und Verpackung der Bilder in Klimakisten für den Transport nach New York. So entstand - einem Storybord für einen Film vergleichbar - ein zeichnerisches Protokoll und gleichzeitig eine wunderbare, künstlerisch autonome Bilderzählung eines Künstlers, der sich seit über 20 Jahren ausschließlich dern Medium der Zeichnung verschrieben hat.

Als großzügige Schenkung von Coosje van Bruggen und Claes Oldenburg (*1929) erhielten wir in diesem Jahr den "Bacon/Carpet" von 1991, der nun wieder seinen angestammten Platz auf einem der Balkone schräg gegenüber dem "Bedroom Ensemble" eingenommen hat.

In Nachbarschaft zu Oldenburgs "Bedroom Ensemble" zeigen wir eine Neuerwerbung von Rosemarie Trockel (*1952) mit dem Titel "Prisoner of Yourself" von 1998. Die im Siebdruckverfahren auf die Wand applizierte, umlaufende Zeichnung mit ihrer Strickstruktur schließt den Raum hermetisch ab. Im Mittelpunkt des Raumes steht auf einem Sockel die Arbeit "Daddy's Striptease Room" von 1990. Wie hier die Verpackung eines Fernsehers mit geöffneten Seitenwänden ein schwarzes Bastlerholzmodell des Kölner Doms umschließt, bindet die Wandzeichnung das fragwürdige Objekt in den für den Besucher geöffneten Raum. So sieht er das Werk von außen und wird gleichzeitig zum Teil des Ganzen.

Von Katharina Fritsch (*1956) erhalten wir die Skulptur "Mönch" als Leihgabe. Die 1999 entstandene Arbeit zeigt eine lebensgroße, aufrecht stehende Figur in einer Mönchskutte. Dargestellt ist ein Moment äußerster Konzentration und Kontemplation. Ein Stehen dieser Art mag man als ein von innen her erlebtes und ausstrahlendes Gleichsein von Körper und Geist, aber auch als ein Entferntsein von persönlichen Leidenschaften verstehen. Ein schwarzes, das Licht stark absorbierendes Pigment auf der Oberfläche verleiht der Figur eine haptisch unzugängliche und deshalb scheinbar entrückte Qualität. Für das "Porträt" des Mönches diente der Künstlerin dieselbe Person, die bereits 1988 für die Männer der "Tischgesellschaft" Modell gestanden hat.

Es war ein lang gehegter Wunsch, Arbeiten von Felix Gonzalez-Torres (1957-1996) iin Kontext unserer Sammlung vorzustellen. Der jung verstorbene Künstler kubanischer Abstammung lebte in New York und hat in kaum zehn Jahren ein beeindruckendes Werk geschaffen. Mit spielerischer Leichtigkeit folgte er minimalistischen und konzeptuellen Strategien der Kunst der 60er Jahre und bereicherte diese durch hochemotionale Inhalte. Gegensatzpaare wie Erinnerung und Traum, Erscheinen und Verschwinden beschreiben den Grundton dieses melancholisch gestimmten OEuvres. Mit der großzügigen Unterstützung der Andrea Rosen Gallery in New York ist es uns gelungen, sieben Hauptwerke des Künstlers zusammenzutragen. Unter anderem zeigen wir ein Glühbirnen-Stück, zwei Stapelskulpturen und eines der sogenannten "Candy Pieces", alles Leihgaben aus Privatsammlungen. Für die Auswahl der Arbeiten war das Motiv des Paares ausschlaggebend. Von diesem Motiv ausgehend ergeben sich spannende Analogien zu Werken und Werkgruppen von Reiner Ruthenbeck, On Kawara, Gilbert Et George und Robert Gober.

Jochem Hendricks (*1959) hat 33 Logos und Symbole rasiermesserscharf mit dem Rapidographen gezeichnet. Sie sind so ausgesucht, sagt der Künstler, daß sie "die Welt abdecken". Wir zeigen diese Zeichnungen in dem Raum, in dem Mario Merz sein plastisches Bild eines Weltgebäudes errichtet hat.

Der fotografische Zyklus von Hildegard Weber (1939) zu den Hirschdenkmälern von Joseph Beuys beleuchtet dessen Werk "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" neu.

Von Miriam Cahn (*1949) haben wir einige kleinformatige, leuchtende Gemälde neu erwerben können. Sie werden erstmals mit den Grisaillemalereien Cecilia Edefalks (*1954) zusammengeführt. Bei aller Unterschiedlichkeit thematisieren beide Künstlerinnen in ihrer Malerei eine durch und durch körperlich geprägte Wahrnehmung der Welt und des Menschen. Beide interessieren sich für Mittel und Wege, mit denen sich die Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Blick erforschen lassen. Beide heben auf verschiedene Weise die Polarisierung der Welt in männliche und weibliche Felder in ihrer künstlerischen Praxis auf.

Jeder Besucher unseres Hauses kennt das wunderbare Gemälde "Johanna I" aus dem Jahre 1983 von Franz Gertsch (*1930). Es ist das vorletzte Bild einer langen Reihe von Porträts. Mitte der 80er Jahre begann Franz Gertsch mit großformatigen Holzschnitten. Durch eine Schenkung konnten wir bereits drei in Holz geschnittene Porträts für unsere Sammlung gewinnen. Diese Gruppe wird nun durch drei Landschaften verstärkt: "Schwarzwasser I" von 1990/91 zeigt das meditative Motiv der Wasseroberfläche eines bewegten Flußlaufes, "Pestwurz" von 93 ein pflanzliches Motiv mit den Blättern eines Heilkrautes. Beide Drucke wollen wir erwerben. Das Landschaftsmotiv "Rüschegg" von 1988/89 erhalten wir als Geschenk von Maria und Franz Gertsch. Das Holzschnittwerk von Franz Gertsch ist etwas ganz Besonderes.Jeder Druck wird durch eine überaus differenzierte Auswahl reiner Farbpigmente wie Lapislazuli, Kobalttürkis, Pyrit, Gold oder Elfenbeinschwarz zu einem unverwechselbaren Einzeistück.

Zu allen Räumen haben wir Sammlungsblätter aufgelegt, die über die einzelnen Künstler und die inszenierten Werkdialoge informieren. Außerdem sind zu den meisten Künstlern monografische Kataloge erhältlich. Darüber hinaus bieten wir täglich thematisch ausgerichtete Führungen an. Die Teilnahme ist kostenlos. In einem regelmäßig erscheinenden Programm werden diese Führungen angekündigt. Sollte Sie ein Werk oder eine Werkgruppe interessieren, die gerade einmal nicht auf dem Programm steht, dann rufen Sie uns an. Wir verabreden gerne eine Führung mit Ihnen.

Eröffnung: 29.09.2000, 18 Uhr in den neuen Räumen

 

 

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