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Portikus
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vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition
07.05. - 26.06. 2011
Die Zukunft der Tradition: Aranda, Picasso, Matisse, Miro, Vidokle
kuratiert von Raimundas Malasauskas
Schlechte Künstler kopieren. Große Künstler stehlen.
Pablo PicassoDer Avangardist ist im Grunde seines Herzens ein Traditionalist. Bei diesem scheinbaren Paradox muss man berücksichtigen, dass ein Werk irgendeinen Kontext braucht, um erkennbar zu sein. Kunst existiert nicht in einem Vakuum. Das Maß für Innovation aber ist die Evolution weg von der "Norm", die Abweichung von der Tradition. Gemäß dem Spruch von den zwei Seiten einer Medaille versucht Die Zukunft der Tradition: Aranda, Picasso, Matisse, Miró, Vidokle die Grenzlinie zwischen "Tradition" und "Innovation" nachzuzeichnen.
Genie kommt vom lateinischen genius, dem göttlichen Funken in jedem Menschen, der Seele. In der römischen Mythologie wurden die besonderen Temperamente dieser persönlichen Geister über die Generationen als Abstammungslinie weitergegeben daher die gemeinsame Wurzel von genus und genius. Von daher überrascht es nicht, dass Picasso und Matisse Cézanne als "unser aller Vater" bezeichneten. Dieses Gründungsnarrativ machte die Werke der beiden nicht nur lesbar, sondern etablierte sie auch innerhalb einer Ideenkurve, die bis zu Filippo Brunelleschi, Pierro della Francesca und Leon Battista Alberti zurückreicht. Sie suchten eine geometrische Rechtfertigung für den Realismus, um die gotische Tradition durch eine ältere "wiedergeborene" zu durchbrechen. Könnte es an dieser Sympathie liegen, dass Matisse so oft auf die Form der Odalikse und die arkadischen Motive zurückgriff, während Picasso einen Stil entwickelte, der heute als "Neo-Klassizismus" bezeichnet wird? Selbst der scheinbar ikonoklastische Joan Miró, der "die Malerei ermorden" wollte, nutzte dazu nicht die Zerstörung von Gemälden und arbeitete auch nicht mit neuen Medien wie die Futuristen und Dadaisten, sondern "mordete" kontraintuitiv durch Malerei. Hier kamen diese Künstler jenseits reiner Umschreibung auf eine dritte Idee: Innerhalb eines gewissen Diskurses fördert das Neue die kritische Reflektion Maßstab ist die Fähigkeit eines neuen Kunstwerks, eine neue Lesart für die Vergangenheit zu entwickeln. Man stellt dazu ein Werk in die Geschichte, indem man es öffentlich, zum Beispiel in einem Museum, präsentiert, in einem Forum, in dem Beziehungen, Aneignungen, Positionen usw. darüber geschichtet werden können. Wenn diese Fronten schließlich benutzt und historisch geworden sind, werden sie nach und nach integriert. Im Grunde ist es mit der Kunst wie mit der Geldwäsche: die Ergebnisse des künstlerischen Diebstahl werden durch den Diskurs legitimiert ist das ein VW-Käfer in Picassos Pavian mit Jungem (1951) oder ist es das von Picasso camouflierte Antlitz eines Tieres?
Entsprechend sollte nicht vergessen werden, dass "Revolution" von "revolvere" kommt, was auch Kehrtwendung oder Rückkehr bedeuten kann..06. -eta Aranda und Anton Vidokle schlagen mit ihrer eigenen "Kehrtwendung" ein neues Kapitel auf, indem sie den Plot, den Brunelleschi mit seinem Bruch mit der Gilde, Matisse mit seiner fauvistischen Herausforderung des impressionistischen Klischees und Miró mit seinem Affront gegen die bourgeoise Tendenz der Malerei etabliert haben, in den Worten Vidokles fortsetzen durch die "Möglichkeit künstlerischer Selbstbestimmung hart erkämpft gegen die Kirche, den Adel, den öffentlichen Geschmack usw."
Der Geist des Ortes, die Affinität, die all die hier vorgestellten Praktiken verbindet, ist der Wunsch, auf den die Entwicklung eines neuen Stils leitenden Augenblick der Inspiration aufmerksam zu machen, auf diesen besonderen "entscheidenden Moment" in der Zeit. Ihr genius loci ist der Vorrang des Entdeckergeistes vor formalen Überlegungen. Deshalb will die Ausstellung nicht nur auf die Tradition zurückblicken, sondern auch ihre Zukunft beschwören. Aus dieser Haltung ist der Ikonoklasmus eine Form des Opfers und der Transfiguration römische Altäre trugen oft das Emblem des genius loci , um die Macht der Kunst zu sichern und gleichzeitig die Autorität der künstlerischen Familie zu schützen. Damit stützt sich die Ausstellung auf die ewige Wiederkehr der künstlerischen Freiheit als das produktive Genre par excellence, mit dem sich die Ordnung der Kunst verändern lässt. Und doch ist, wie der Titel nahelegt, diese launenhafte Projektion wie ein Genius selbst diesen Künstlern teilweise genauso verborgen wie den Zeitgenossen. Unbekümmert eliminiert eine ätherische Magie den Weg hinaus
Diese Metamorphosen mögen brutal erscheinen, aber die Ausstellung zeigt uns statt dessen Picassos Visage de la Paix (1951), das unseren "Engel der Geschichte" als Gesicht gestaltet, mit Haar aus den Flügeln der Taube. Das klassische Symbol der Taube verbindet sich mit einem lächelnden Menschenantlitz, geht es doch beim Frieden letztlich um Menschen und ihr Glück.
Auf dieses Bild blickt nun Matisses Frauenprofil zurück, identifiziert nur als Posten auf einem sekundären Markt: S1PAIT5. Dieses personalisierende "Von Angesicht zu Angesicht" zwischen dem Engel und einer Frau geht von einem Unterschied der beiden Entitäten aus, der gleichzeitig für die gemeinsame Verantwortung steht, einander friedlich zu akzeptieren. Hier kommt ein weitere Ebene hinzu, nämlich die des Kurators Raimundas Malasauskas, der in seinen Ausstellungen oft Synergien zwischen sich wiederholenden oder leicht variierenden Themen schafft, um so die Zusammenhänge zu verdeutlichen.
Mirós Adonides (1975) enthält ein kurzes zweistrophiges Gedicht, das die Betrachter durch dieses Spiel des Miteinanders führt. Es beginnt mit Unverständnis: "Ich ignoriere alles, was ich weiß / und weiß nichts von allem, was ich ignoriere". Dies bekräftigt, fährt es fort: "Wie kann ich / an den Tod glauben / wenn ich weiß / dass du eines Tages sterben wirst." Eine elegische Frage des Dichters, denn da der Tod nicht zu begreifen ist, wird seine Unbegreiflichkeit nur durch den Verlust eines geliebten Menschen spürbar, einen Verlust, dessen Schmerzlichkeit ihn unvorstellbar macht. Der Tod ist ein unbehagliches Geheimnis. Als solches kann man sich gegen seine Verleugnung und den Zorn nur durch einen mystischen Glauben wehren: der Zyklus von Leben und Tod vervollständigt sich durch Inkarnation und Auferstehung durch Wiedergeburt.
Arandas which can do no harm (and a bone to pick) (2011), das diese Metaphysik aufgreift, verweist auf eine Passage in Ezekiel, wo der Herr vertrockneten Knochen Leben einhaucht. Das Material ein aus ungebranntem, trockenen Ton nachgebildetes Hühnerskelett, wie es häufig zur Wahrsagung benutzt wurde verweist auf Adam, den Gott aus Erde schuf, indem er ihr Leben einhauchte. Damit kehren wir erneut zu dem Gedanken einer wörtlich wie im übertragenen Sinne verstandenen Inspiration zurück, die in verkleideter Form wiederholt wird. Und doch richtet diese verborgene Zuschreibung kaum Schaden an, denn der ungebrannte Ton zerfällt von allein und kehrt friedlich als Staub zum Staub zurück.
Vidokle entzündet unser Feuer und unsere Verantwortung aufs Neue, wenn er Picasso wie Cassius den Brutus fragt: "Was steckt doch in dem Cäsar, dass man den Namen mehr als Euren spräche? Schreibt sie zusammen: ganz so schön ist Eurer." Er tut das, indem er die Quittung für eine Picasso-Biographie in ein Bild einfügt und das Werk mit dem Namen des Autors signiert. Dieser letzte Akt führt ins Zentrum der ganzen Ausstellung: die Zukunft der Tradition braucht Kredit.
Berücksichtigt man, dass "Kredit" von "credo" Glauben stammt, erinnern all diese Manöver an den fundamentalen Zauber, dass Kunst nur kursieren kann, wenn sie verbreitet wird. Anders ausgedrückt: damit die Spiele mit der Geschichte in Umlauf kommen, muss sich zwischen Künstler und Publikum, zwischen den Empfängern, Vertrauen entwickeln. Die Grundlage des Systems ist tatsächlich das System selbst, ein Handel mit stets manipulierten Darstellungen und Spekulationen. Denn wenn alles Geschriebene Fälschung ist, dann lautet die wirkliche Frage: Nehmen Sie's?
Thomas Stearns, 3. Mai 2011
Eröffnung: 06.05.2011, 20 Uhr
Pressegespräch: 06.05.2011, 11 Uhr
Führung von Raimundas Malasauskas: 17.5.2011, 18 Uhr