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Schirn Kunsthalle

Römerberg
60311 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 29 98 82 11; Fax 069 - 29 98 82 40
So + Di 11 - 19 Uhr, Mi - Sa 11 - 22 Uhr, Mo geschlossen
http://www.schirn.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

6.10. - 22.11. 1998

Freie Sicht aufs Mittelmeer

Junge Schweizer Kunst mit Gästen

Zum Thema "Schweiz" der Frankfurter Buchmesse

In Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Zürich

 

Junge Schweizer Kunst findet man in der panhelvetischen Urbanität und anderswo. Von der Welt wird sie wahrgenommen wie keine Schweizer Generation vor ihr. Peter Fischli und David Weiss haben den Weg gebahnt. Pipilotti Rist dreht internationale Pirouetten. Thomas Hirschhorn manifestiert sich. Außerdem entsteht ein guter Teil der Jungen Schweizer Kunst extra muros: Los Angeles, Rom, Düsseldorf, Aix-en-Provence, Amsterdam. Daheim bevölkert sie abwechselnd mit der internationalen Produktion renommierte Kunsthallen, Gegenwartsmuseen, Galerien und über hundert alternative Kunsträume, wo im EventVerbund mit Musik und Bar an den neuesten Schnittstellen zwischen Straße und Museum geschliffen wird. Schweizer Künstler haben begonnen, die ganze Welt wahrzunehmen und sich den außerparadiesischen Platz, in den sie sanft hineingeboren wurden, wohnlich einzurichten. Sie heißen Beat Streuli oder Dogann Firuzbay. Sie hinterfragen die Codes sogenannter Normalitäten. Und ihre Sehnsüchte sind mehrfach gebrochen. Keine falschen Hoffnungen. Kein "Zurück zur Natur". Der Ersatz wird zum Originalschauplatz. Event-Kultur und Ambiente spielen dabei eine zentrale Rolle. Unspektakulär und locker gehaltene Kunst-Anlässe in leerstehenden Garagen, Büros, Läden und bisweilen sogar Kirchen rücken die wirkliche Welt mit ihren Problemen, ihrer zunehmenden Häßlichkeit und Uniformierung in ungreifbare Ferne. Der Virtualisierung des Bilderhaushalts begegnen die Künstlerinnen und Künstler mit der Ästhetisierung selbst erlangter, fluktuierender Gewissheiten.

Sehnsuchtsvolle Gefühle heulen ab CD, Spannung donnert aus der Spielkonsole. Und was das Leben gutes bieten kann, das weiß nur der TV-Spot. Die jungen Geister werfen das Wort "Kontext" in die Runde, hinterfragen und konkurrenzieren unter diesem Begriff die tradierten Produktions- und Präsentationsformen von Kunst durch interdisziplinäre Modelle.

Woher kommt diese neue Generation? Der Titel "Freie Sicht aufs Mittelmeer" bezieht sich auf die Geschehnisse der frühen achtziger Jahre, als die Jugend der Stadt Zürich mit viel dadaistischem Witz und 68er Dynamik für die sofortige Schaffung eines Fonds für Alternativkultur demonstrierte. Die dezidiert unakademische Punkgeneration skandierte: "Weg mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer!" Parallel zu den Ereignissen auf der Straße setzte in der Kunstwelt eine vitale "Verunreinigung" ein, die sich als Teil der Populärkultur verstand: "Urbane Coolness, Mißtrauen gegenüber der großen Gebärde, mit spezifischem Witz auf 'Kapütte' reagieren." Erst in den neunziger Jahren konnte sich diese Haltung voll entfalten. Und es sieht aus, als sei die horizontale Mittelmeerperspektive realisiert. Die Sehnsucht nach einem idealen Ort ist der nomadischen Reise zum realen Treffpunkt gewichen. Die Schweiz ist permeabel geworden. Es scheint uns daher ganz selbstverständlich, daß auch ausländische KünstlerInnen in der Ausstellung vertreten sind. Die verschiedenen helvetischen Wetterlagen stehen in Bezug zum Weltklima: lokale Namen wie Nik Emch oder Bessi Nager (Zürich), Pierre Vadi (Genf) treffen auf nationale wie Gerda Steiner und international rotierende wie Ugo Rondinone (New York/Zürich), Christian Marclay (New York/Genf), Silvia Bächli (Basel/Paris). Dazu gesellen sich neben anderen Gästen Joseph Grigely (USA), Mariko Mori (J) und die Französin Marie-Ange Guilleminot (F).

Freie Sicht aufs Mittelmeer präsentiert der Besucherin, dem Besucher fast hundert Positionen kosmopolitischer, junger Schweizer Kunst, die vorbereitet wurde und sich abnabelt vom Flux eines John Armleder, vom zeichnerischen Strich eines Markus Raetz, von den explosiven Sürprisen eines Roman Signer, dem gigantischen optischen Realismus eines Franz Gertsch und den Videos von Silvie und Chérif Defraoui. Junge Schweizer Kunst orientiert sich an der jüngsten Gegenwart und experimentiert in alle medialen Richtungen. Wer dem alternativen Guide folgt, wird sich von der Vitalität animiert fühlen, den von Paul Nizon in den sechziger Jahren eingeführten Schweizer "Diskurs in der Enge" einer künstlerischen Dichte und nicht der Ignoranz zuzuschreiben. Und wer sich auf einzelne Werke einläßt, wird bemerken, daß Vitalität nicht mit Jubeltrubel gleichzusetzen ist, sondern eine Bedingung darstellt, das eigene Ungemach gegenüber der Normalität, wie sie in der Schweiz hochgehaltenen wird, in Kreativität zu überführen.

(Text: Kunsthaus Zürich)

 

 

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