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Schirn KunsthalleRömerberg
60311 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 29 98 82 11; Fax 069 - 29 98 82 40
So + Di 11 - 19 Uhr, Mi - Sa 11 - 22 Uhr, Mo geschlossen
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aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition
26.11. 1997 - 1.3. 1998
Zwischen Himmel und ErdeMoskauer Ikonen und Buchmalerei des 14. bis 16. Jahrhunderts
Die Ausstellung umfaßt 52 Ikonen aus der Staatlichen Tretjakow-Galerie, den Staatlichen Museen Moskauer Kreml, dem Staatlichen Historischen Museum, Moskau und dem Kunstmuseum Wologda sowie 16 Handschriften aus dem Staatlichen Historischen Museum und der Russischen Staatsbibliothek, Moskau.
Moskau - der vertraute Name einer Stadt, von der wir fast täglich hören und die uns dennoch weit entfernt scheint. Diese Entfernung ein wenig zu verringern, dazu möchte diese Ausstellung einen Beitrag leisten. Es gehört zu den großen Ereignissen, einen der Höhepunkte der russischen Kunst, nämlich einzigartige Kirchenikonen und Handschriften des ausgehenden 14. Jahrhunderts bis um 1600 aus Moskauer Werkstätten präsentieren zu können. Denn was liegt näher, als nach umfassenden Würdigungen der russischen Avantgarde in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, nach den traditionellen Wurzeln des russischen Beitrags zur Klassischen Moderne zu fragen. Bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert geriet die Ikonenmalerei zum Gegenstand vehementer Diskussionen russischer Künstler und Literaten und nicht wenige Avantgarde-Künstler zog sie in ihren Bann.
Den historischen Hintergrund des gewählten Zeitraums bildet der allmähliche aber konsequente, machtvolle Aufstieg des Moskauer Staates: Dieser begann im 14. Jahrhundert, als den Moskauer Großfürsten schrittweise die Befreiung aus der Mongolenherrschaft gelang. Einen entscheidenden Sieg konnte Dmitri Iwanowitsch 1380 gegen den tatarischen Heerführer Mamaj erringen. Die Schlacht auf dem Kulikower-Feld unweit des Flusses Don brachte dem Großfürsten den Beinamen "Donskoj" ein. Die sich anschließende territoriale Expansionspolitik, das sog. "Sammeln der russischen Lande", führte zur Ausbildung eines russischen Einheitsstaates unter Iwan III (1462-1505). Seine Regierungszeit markiert auch den Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Ost und West. Dabei verwendete Iwan erstmals den Titel "Zar von ganz Rußland". Sein Sohn Wassili III. (1505-1533) setzte den bereits begonnenen Aufbau einer Zentralverwaltung fort. 1547 wurde Iwan IV. Grosny ("Der Furchtgebietende", 1533-1584), der als "Der Schreckliche" in die Geschichte eingegangen ist, zum Zaren und Selbstherrscher von ganz Rußland gekrönt. In seine Regierungszeit fielen die weitere territoriale Ausdehnung des Moskauer Staates durch die Eroberung der letzten tatarischen Khanate Astrachan und Kasan. Vor allem aber ist seine von großem Mißtrauen und Grausamkeit geprägte Herrschaft überliefert. Unmittelbaren Einfluß suchte Iwan IV. auf die Kirche auszuüben. Das von ihm 1551 einberufene Hundertkapitelkonzil ("Stoglaw") erließ u.a. neue, entschieden an die orthodoxe Tradition gebundene Reglementierungen sowohl für die Ikonenmalerei, als auch für den Ikonenmaler selbst. Die Epoche der Rjurikidendynastie endete mit dem Tod des regierungsunfähigen Sohnes Iwan IV., Fjodor Iwanowitsch. Neuer Zar wurde 1598 Boris Godunow.
Wesentliche Voraussetzung für Moskaus Aufstieg war das enge Zusammenspiel zwischen Staat und Kirche. Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts verlegte Metropolit Pjotr seinen Amtssitz nach Moskau und bestätigte damit den Führungsanspruch des Fürstentums. Sein Nachfolger Metropolit Alexej übernahm Mitte des 14. Jahrhunderts die Regentschaft für den noch minderjährigen Dmitri Iwanowitsch. Auf diese Weise sicherte der Metropolit Dmitris Thronanspruch. Schließlich war es der hochverehrte russische Mönch Sergij von Radonesch, der Dmitri Iwanowitsch vor seiner Schlacht gegen Mamaj segnete und zwei Mönche in den Kampf entsandte.
Die Geschichte des Moskauer Staates liefert die Grundlagen für eine geistige, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, die ihren unmittelbaren Ausruck in der Malerei erfährt. Früh hat Moskau die bedeutendsten Maler an sich binden können. Zu ihnen gehören Theophanes der Grieche (Feofan Grek, Ende 14. Jh.) und die berühmten Ikonenmaler Andrej Rubljow (Anf. 15. Jh.) und Dionissi (Ende 15./Anf. 16. Jh.). Die Ausstellung beginnt mit dem späten 14. Jahrhundert: Der rege Austausch zwischen Byzanz und dem Großfürstentum bestimmte wesentlich das geistige und kulturelle Klima Moskaus und seiner Kunst. Nebeneinander arbeiteten in Rußland einheimische und griechische Künstler, die ihr Können in Rußland vermittelten. Vorbild für die Künstler waren die aus Byzanz überlieferten und in der orthodoxen Theologie wurzelnden Bildmuster. Diese Muster legten fest, wie die einzelnen Themen, Bildnisse der Gottesmutter, Darstellungen aus dem Leben Christi oder auch Heilige, wiederzugeben waren. Der Grund für die Festlegung auf bestimmte Bildtypen erklärt sich aus der Forderung nach Portraitähnlichkeit der dargestellten Person. Auf diese Weise kann ein unmittelbares Zwiegespräch zwischen dem Betenden und der dargestellten Person entstehen, gilt doch dem Gläubigen sein Gebet und seine Verehrung dem Urbild selbst. Die Ikone ist somit ein Mittler, ein Medium zwischen dem Betenden und der göttlichen Welt.
In der stetigen Wiederkehr der verschiedenen Bildtypen der Gottesmutter, Christi und der Heiligen vermeint der westliche Betrachter die immer gleichen Bilder zu sehen. Tatsächlich aber veränderten sich - trotz festgelegter Darstellungsmuster - sowohl die künstlerische Sprache als auch die Vielfalt der Themen deutlich. Anfang des 15. Jahrhunderts erhält die Malerei Impulse, die mit dem Namen Andrej Rubljow und seines künstlerischen Umfeldes verknüpft sind. Die tradierten byzantinischen Muster werden bewahrt, aber die Ikonen zeichnen ein neues Menschenbild. Innere Harmonie und geistige Einkehr spricht aus den Antlitzen der Heiligen. Biblische Szenen wie z.B. die Geburt Christi sind voller lyrischer und poetischer Momente. In den zeitgleichen Handschriften finden sowohl die einheimisch russische als auch byzantinische Ornamentik Anwendung.
In der zweiten Hälfte des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts läßt sich in der Ikonen und Buchmalerei eine zunehmende Verfeinerung in der malerischen Ausführung und eine sich steigernde Erzählfreude beobachten, wie sie vor allem die Werke Dionissis auszeichnet. Seine Kunst ist Spiegel einer Epoche politischer, wirtschaftlicher und kultureller Blüte des erstarkenden Moskauer Staates. Besondere Vorliebe gilt den Vita-Ikonen. Sie zeigen den Heiligen umgeben von zahlreichen Minaturen, die Szenen aus seinem Leben schildern. Solche Ikonen würdigen vor allem Repräsentanten der Kirche, die, rückblickend auf das Moskau des 14. Jahrhunderts, nicht nur Tugendhaftigkeit und Geistesgröße verkörperten, sondern gleichermaßen einflußgebend für das politische Geschehen des Landes waren: Hier ist insbesondere die Ikone des Dmitri Priluzki zu nennen, die als eigenhändiges Werk Dionissis gelten darf. Der Mönch war nicht nur als Klostergründer hochverehrt, sondern er hatte als Taufpate der Kinder des Großfürsten Dmitri Iwanowitsch (1359-1389) engen Kontakt zur Moskauer Obrigkeit.
Im Zentrum der Moskauer Ikonenmalerei stehen immer wieder Gottesmutterdarstellungen. Besonders zahlreich entstande-n in den Werkstätten Ikonen der Gottesmutter von Wladimir und der Gottesmutter Hodigitria. Die UrWladimirskaja gelangte Anfang des 12. Jahrhunderts von Konstantinopel nach Kiew; 1151 brachte sie Fürst Bogoljubski nach Wladimir, woher sie ihren Namen erhielt. Bereits im 12. Jahrhundert entstand eine Kopie der Ur-Wladimirskaja, die 1395 erfolgreich die vor den Toren Moskaus stehenden Tartaren abgewehrt haben soll. Die Gottesmutter Hodigitria, deren Urbild der Legende nach vom Evangelisten Lukas gemalt wurde, kündet in ihrer hoheitsvollen Ausstrahlung von ihrer Funktion als Beschützerin und Wegführerin. Aber auch Ikonen der Gottesmutter von Jaroslawl, von Tichwin und von Bogoljubowo werden in der Ausstellung zu sehen sein.
Eine Zusammenschau der Ikonenthemen zeigt die Bilderwand, die Ikonostase. Sie ist theologisch, achitektonisch und vor allem liturgisch von herausragender Bedeutung. Als Illustration der göttlichen Weltordnung vermittelt sie "zwischen Himmel und Erde", zwischen dem Gläubigen und Gott. Es entstanden meterhohe Ikonostasen für weiträumige Kathedralen, aber auch kleinere Ausführungen in den Dimensionen einer Kapelle.
Darstellungen der Gottesmutter und des Lebens Christi, Schilderungen der Vita Heiliger und monastischer Persönlichkeiten behielten auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert ihre Gültigkeit. Sie wurden ergänzt um Sujets, die das wachsende Interesse an einer detailgenauen Erzählweise, nicht selten mit historisch-symbolischem Gehalt dokumentieren; so schildert eine Ikone den erfolgreichen Zug Iwan IV. gegen Kasan. Ferner werden Hymnentexte in prachtvolle Bilder übersetzt: Der Hymnus Über Dich freut sich die ganze Schöpfung rückt die Gottesmutter in das Zentrum der Darstellung. Diese Werke schlagen den Bogen zur Buchmalerei: Heiligenviten und Evangelien, ausgestattet mit Hunderten von Miniaturen, offenbaren das Bedürfnis nach allumfassender, den Landschafts- und Architekturhintergrund einbeziehender Schilderung von historischen Ereignissen oder Wundertaten. Allein die Vita Nikolaus des Wundertäters zählt 447 Miniaturen. Materiellen Reichtum stellen wertvolle, edelsteingeschmückte Einbände zur Schau.
Mit dem ausgehenden 16. Jahrhundert gewinnt mehr und mehr der westeuropäische Buchdruck Einfluß auf die Moskauer Buchmalerei. In der Ikonenmalerei beginnt man, biblische Themen mit Szenen aus dem täglichen Leben zu kombinieren. Vergeblich hatte das Hundertkapitelkonzil von 1551 mit präzisen Anleitungen zur Ikonenmalerei versucht, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Das kommende Jahrhundert gibt dem Individuum immer mehr Raum, dem Ikonenmaler ebenso wie seinem Auftraggeber und schließlich den Bildinhalten.
Zur Ausstellung erscheint ein wissenschaftlicher Katalog mit einführenden Essays von Robin Cormack, Karl Christian Felmy, Ewelina Gussewa, Olga Lelekowa, Iuri Malkow, Natalja Markina, Peter Nitsche, Olgw Poljakowa, Engelina Smirnowa, Oleg Tarassow, Gerold Wsdornow, sowie mit Beschreibungen aler Exponate durch ausgewiesene Ikonenforscher. Alle Exponate werden farbig abgebildet.
Verlag: Dr. Cantz'sche Druckerei, Ostfildern, ca 280 Seiten, DM 59,-Vom 19.3. - 14.6. 1998 ist die Ausstellung in der Royal Academy of Arts, London zu sehen.