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Schloß Morsbroich

Städtisches Museum Leverkusen Schloß Morsbroich
Gustav-Heinemann-Straße 80
51377 Leverkusen
Tel. 0214 - 85 55 60; Fax 0214 - 855 56 44
Di 11 - 21 Uhr, Mi - Fr 11 - 17 Uhr
E-Mail: 412@stadt.leverkusen.de
http://www.museum-morsbroich.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

30.09.2000 - 07.01.2001


von Angesicht zu Angesicht

Mimik - Gebärden - Emotionen

In einer Zeit, die das menschliche Genom entschlüsselt und Tiere klont, gilt unser Augenmerk einem Thema, das die Menschheit in besonderer Weise bewegt: das Geheimnis menschlicher Psychologie und Emotion. Dies läßt sich am besten am Abbild des Menschen im Spiegel der Kunst ergründen, einer Thematik, die in unserer technischen Welt glatter Benutzeroberflächen aktueller ist denn je.

An jede äußere Erscheinung eines Menschen knüpfen wir unwillkürlich eine Einschätzung der Eigentümlichkeiten und emotionalen Verfassungen dieser Person, die sich mit einem mehr oder minder differenzierten Wortschatz beschreiben lassen. Dieses greifbare Verhältnis zwischen Vorstellung, Worten der Beschreibung, Körperlichkeit und deren Beziehung zu den wahrscheinlichen Charaktereigenschaften und Emotionen einer Person zu erforschen, ist Gegenstand der Physiognomik wie der Psychologie des Alltags. Obwohl wir um die vielfältigen Täuschungsmöglichkeiten wissen, benutzen wir diese Zusammenhänge ständig in unserer alltäglichen Orientierung anderen Personen gegenüber.

Die "Physiognomik" - seit dern 4. Jahrhundert v. Chr. sind literarische Versuche dazu überliefert - ist ein Ansatz, das dichte, aber diffuse Gefüge der Eindrücke vorn Aussehen einer Person systematisch zu erfassen und durch eine gegliederte Begrifflichkeit eine Typenlehre zu fixieren. Darnit versuchte man, die psychisch-charakterliche, aber auch die soziale und berufliche Stellung zu markieren. Die Hochblüte der Physiognomik beginnt mit der Enstehung des Individualbildnisses am Ende des 14. Jahrhunderts. Ihr Ende hat sie mit der Etablierung der Psychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefunden. Das Forschungsfeld ist dadurch aber nicht wesentlich verändert worden, sondern gewinnt andere Grade der Differenzierung und fördert die Einsicht in die prozessuale Wandelbarkeit menschlicher Individualität.

In der Kunsttheorie erscheint die Forderung nach Beobachtung physiognomischer Differenzen gleich im Anschluß an die Forderung nach der Beachtung angemessener Proportionen. Diese Forderungen bilden seit der italienischen Renaissance einen festen Bestandteil in der Ausbilduhg zurn bildenden Künstler. So wie die Proportionslehre der Systematik der Modus-Lehre unterzogen ist, ist die Physiognomik unter dem Gesichtspunkt der "Angemessenheit" nach dem jeweils darzustellenden Sujet auszurichten. Damit ergibt sich die Frage, welche zeitgenössischen Begrifflichkeiten für physiognomische Eigentümlichkeiten sich aufweisen lassen. Nur diese ergeben das "Bild-Feld von Charaktertypen (z.B. Ternperamente, Lebensalter u. dergl.), durch deren Variation sich Individuelles darstellen läßt.

Die Ausstellung stellt anhand ausgewählter Beispiele aus den Bereichen Handzeichnung, Druckgrafik und Malerei vor, welche spezifischen Leistungen die Künstler im unterschiedlichen Umgang mit dieser Problemstellung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert hervorgebracht haben. Sieben Ausdrucksmodi eignen sich bei der Betrachtung als Leitmotive: 1. Ich, 2. Rolle, 3. Außen, 4. Szene, 5. Innen, 6. Experiment, 7. Kopf.

Wir präsentieren ca. 170 Leihgaben, darunter Werke so bedeutender Künstler wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach d. Ä., Charles Le Brun, Jacques Callot, Rembrandt Harmensz. van Rijn, Eugène Delacroix, Francesco Goya, Arnold Böcklin, Henri de Toulouse Lautrec, Edvard Munch, Oskar Kokoschka, Lovis Corinth, Paul Klee, Emil Nolde, Max Beckmann, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, George Grosz, Egon Schiele, Otto Dix, Käthe Kollwitz, Pablo Picasso, Francis Bacon, Max Ernst, Willem de Kooning, Andy Warhol, Jean Fautrier, Wols, Jean Dubuffet, Maria Lassnig, Imi Knoebel, Arnulf Rainer, Gerhard Richter, Robert Mapplethorpe, Kirsten Geisler.

Die Retrospektive der Physiognomik erfaßt das Prestige, das ihre Bildlichkeit am Anfang des Jahrhunderts besessen hat - u.a. in Oswald Spenglers Geschichtsphilosophie oder in Rudolph Kassners feinsinnigen Charakterstudien - doch die JahrhundertwendePhysiognomik zehrte ihrerseits von dern berühmten Streit am Ende des 18. Jahrhunderts um die Deutung des seelischen Inneren aus dem wahrnehmbaren körperlichen Außen. Lavater und Lichtenberg, aber auch Mendelssohn, Lenz und Goethe stritten um die Beziehung zwischen "Innen" und "Außen". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hingegen sind diese Begriffe zu pathetischen oder ironischen Metaphern geworden, die das Bild einer entseelten Welt urid die Hypervisibilität des Gesichts im Foto und Film voraussetzen. Unter Berücksichtigung dieses Aspekts stellt die Ausstellung auch einzelne küristierische Positionen aus dem Bereich der Neuen Medien vor.

Wir führen das Ausstellungsprojekt in Kooperation mit der RWTH Aachen, Kunstgeschichtslehrstuhl Prof. Dr. Peter Gerlach, durch und begleiten es mit einem wissenschaftlichen Katalog, welcher die Thematik durch Fachautoren aus Kunstgeschichte, Psychologie, Medizin, Rechtsgeschichte und Literaturwissenschaft erstmalig in diesem Umfang bearbeitet.

Eröffnung: 29.09.2000, 19.30 Uhr

Es sprechen:
Paul Hebbel, Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen
Dr Gerhard Finckh, Direktor Museum Morsbroich
Olivier Zybok M. A., Kurator Museum Morsbroich

 

 

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