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Sprengel MuseumKurt Schwitters Platz
30169 Hannover
Tel 0511 - 168 38 75; Fax 0511 - 168 50 93
Di 10 - 20 Uhr, Mi bis So 10 - 18 Uhr, Mo geschlossen
Ausstellungen 1996 / exhibitions 1996
18.8. - 3.11. 1996
BlastVortizismus - Die erste Avantgarde in England 1914 - 1918
1914 fand sich eine Gruppe von Künstlem, Schriftstellern und Kritikern zusammen, um mit einer aggressiven Rhetorik, abstrakten Werken und modernen Thesen, die an der vordersten Front der internationalen Kunst und Kunstkritik mithalten konnten, gegen das Establishment und die noch völlig im viktorianischen Geist befangene Kunst in England aufzubegehren.
Unmittelbar bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, wurden Rebellion und Revolution nicht nur im politischen Bereich, sondern auch in künstlerischen Kreisen zu kraftvollen Schlagwörtern. Wie in vielen europäischen Metropolen gärte es auch in London: Gruppen und Fraktionen bildeten sich um einzelne Persönlichkeiten und brachen wieder auseinander, künstlerische Positionen wurden so klar und kämpferisch formuliert wie nie zuvor in der englischen Kunst. Die radikalsten unter ihnen waren die Vortizisten um Percy Wyndham Lewis (1882-1957) und Ezra Pound (1885-1972).Der Begriff 'Vortizismus' war von dem amerikanischen Dichter Ezra Pound geprägt worden und bedeutete im wörtlichen Sinne 'Wirbel' und 'Strudel'. Für Ezra Pound und die Vortizisten war der "Vortex der Punkt der äußersten Energie". Wyndham Lewis sah "im Zentrum des Strudels einen großen ruhigen Ort, an dem alle Energie konzentriert ist. Und hier, an diesem Ort der Konzentration, befindet sich der Vortizist.
Die Vortizisten sympathisierten zunächst mit Marinettis futuristischem Aufruf, einen unmittelbaren Ausdruck für das neue Menschenzeitalter zu finden. Doch in England hatte die Industrielle Revolution viel früher als in den anderen europäischen Ländern begonnen, und London war um 1900 mit 6,5 Millionen Einwohnern noch immer die größte Metropole der damaligen Welt, so daß die Faszination am technischen Fortschritt im Gegensatz zu den italienischen Futuristen längst einer alltäglichen Selbstverständlichkeit gewichen war. Die Vortizisten waren zwar fasziniert von der modernen Welt, den großen Häfen und Städten, der Technik, doch zugleich sahen sie die entmenschlichenden Gefahren, die von der zunehmenden Mechanisierung ausgingen. Dieser kritische Blick auf die moderne Zivilisation unterscheidet daher die vortizistische Ästhetik von der der zeitgenössischen Futuristen und Kubisten. Vortizistische Werke zeichnen sich durch klar umgrenzende Konturengebung aus, in expressiven Diagonalen stürmen die Formen auseinander an die Ränder des Bildes oder fallen implosionsartig ineinander. Menschen werden zu roboterhaften Gestalten, eingebunden in ein hartes Gefüge abstrakter Linien. Explosion und rastlose Energie, schreiende Farben und schwarze Konturen bestimmen die bis zur reinen Abstraktion geführte Bildwelt dieser englischen Kunstbewegung.
Im Juli 1914 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift "BLAST" (übers. 'Explosion' / 'verdammt'). In den darin publizierten Manifesten wurden die Ziele und Feindbilder der Gruppe formuliert. Neben Lewis und Pound waren die Unterzeichnenden des Vortizistischen Manifestes u.a. Lawrence Atkinson (1873-1931), Henri Gaudier-Brzeska (1891-1915), Jessica Dismorr (1885-1939), William Roberts (1895-1980), Helen Saunders (1885-1963) und Edward Wadsworth (1889-1949). Die dominierende Persönlichkeit als Künstler, Schriftsteller, Kritiker, Herausgeber und Aktivist war jedoch Wyndham Lewis, im publizistischen Bereich tatkräftig unterstützt von Ezra Pound und dem Philosophen und Kritiker T.E. Hulme (1883-1917). Neben den Unterzeichnenden des Manifests gab es weitere Künstler und Künstlerinnen, deren Werke und Ideen im Umkreis der Vortizisten angesiedelt waren, - auch wenn sie sich, wie etwa Christopher R.W. Nevinson (1889-1946), der sich als der einzige englische Futurist verstand, oder David Bomberg (1890-1957) aus Rivalitätsgründen der Vereinnahmung durch Lewis verweigerten. Der Bildhauer Jacob Epstein (1880-1959) gehörte ebenso zum Kreis der Vortizisten wie Fredeiick Etchells (1886-1973), Dorothy Shakespear (1886-1973), der Fotograf Alvin Langdon Cobum (1882-1966) und der Dichter T.S. Eliot (1888 -1965).Die Chancen standen gut, daß aus diesem Kreis aktiver Modernisten eine wirklich treibende Kraft für die englische Kunst hätte hervorgehen können, doch der Ausbruch des Ersten Weltkiieges beendete diese kühnen Bestrebungen abrupt. Denn die mechanistische Barbarei des Krieges übertraf alle Befürchtungen der Vortizisten bei weitem. Angesichts der Realität des Krieges, an dem etliche Künstler als aktive Soldaten teilgenommen hatten, sahen sie, daß die Welt sich grundlegend geändert hatte. 1920 erklärte Wyndham Lewis den Vortizismus offiziell für beendet.
Die Ausstellung ist die erste eigenständige Präsentation dieser Künstlergruppe außerhalb Großbritanniens. Die Ausstellung wird im Anschluß im Haus der Kunst in München gezeigt (15.11. 1996 - 26.1. 1997). Die letzte umfassende Ausstellung der Vortizisten fand 1974 in London statt.
Gezeigt werden ca. 220 Gemälde, Skulpturen, Aquarelle, Zeichnungen, Photographien und Dokumente, die von zahlreichen Leihgebern in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Kanada, Frankreich, Italien und Deutschland zur Verfügung gestellt werden.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Aufsätzen von Deborah Cheny/Jane Beckett, Richard Cork, Hubertus Gaßner, Karin Orchard, Wieland Schmied, Ludwig Seyfarth, Andrew Wilson, sowie Farb- und s/w-Abbildungen aller ausgestellten Werke.
Broschur, Format: 21 x 27 cm, Umfang: ca. 300 Seiten, ca. 120 Farbtafeln und 90 s/w-Abbildungen zum Preis von DM 48,--.
Der Katalog ist die erste umfassende deutschsprachige Publikation zu dem Thema. Eine gebundene Ausgabe erscheint bei Ars Nicolai im Buchhandel.
Die Ausstellung wird gefördert von The British Council.
Weitere Informationen:
Sprengel Museum Hannover
Pressestelle:Dr. Birgit Grüßer, Tel. 0511 / 909 82 12 oder 0511 / 168 62 13
Kuratorin: Dr. Karin Orchard, Tel. 0511 / 168 46 48, Fax: 0511 / 168 50 93