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Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus
seit 2009: Dieselkraftwerk Cottbus
über die Brandenburgischen Kunstsammlungen
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition
20.7. - 14.9.1999
Micha BrendelVon den Heimlichkeiten der Natur
UG
Der Künstler verwandelt den Museumsraum: Statt der gewohnten Ordnung von Bildern und Objekten haben wir einen raumfüllenden Mikrokosmos vor uns, der zum Studieren einlädt.
Der in Berlin lebende Künstler Micha Brendel (Jahrgang 1959) verläßt absichtsvoll wie provokativ das Gebiet des "Kunstgewöhnlichen", um seit Jahren im Übergangsbereich zwischen Kunst und Medizin, zwischen künstlerischer Forschung und grenzwissenschaftlicher Erfindung zu siedeln. Wir fühlen uns zwangsläufig (zurück)versetzt in frühere Zeiten und Welten. Die Nähe zu den Kuriositätenkammern der Renaissance bleibt unverkennbar. Damals vereinten sammelbesessene Herrscher hier Reliquien und exotische Mitbringsel, Fossilien und seltene Präparate, Bilder, Mineralien u.v.a. Jene Sammlungen, aus denen in der nachfolgenden Aufklärung einerseits die Kunstmuseen und andererseits die anatomischen Theater mit ihren Schaustücken hervorgingen. Für Micha Brendel bedeutet sein Schaffen der letzten Jahre, als würde er wieder zusammenbringen, was dermaleinst durch den aufkommenden rationalen Wissenschaftsbegriff auseinanderdividiert wurde. Seine Kunst-, Schreckens- und Wunderkammer vereint alles erneut: Skelette und Knochen, Fundstücke, Bilder, Mumifizierungen, Arbeitsbücher, Relikte, medizinische Fachliteratur, OperationswerKzeug, Chemikalien, Tinkturen, Zeichnungen, Präparationsmaterial, Fotografien etc. Im Unterschied jedoch zur naturwissenschaftlich-aufklärerischen Forschung, wie sie etwa jüngst Gunther von Hagens mit Ganzkörperpräparaten der Öffentlichkeit präsentierte, nimmt Micha Brendel einen völlig anderen Weg. Er unterläuft die Erwartungshaltung mit provokativem Kunstgriff und subversiver Neuschöpfung. Seine präparierten Objekte oder "Anschauungsstücke" suchen nicht die naturgetreue Darstellung der "Körperwelten", sondern wachsen sich zu symbolischen Gebilden, zu Metaphern und Zeichen aus. Sie operieren mit der Katharsis, dem Ekel und dem Schock, um Direktzugang zu unserem Innersten zu erlangen, abseits von kulturmüden Wegen. In den Zeiten von Tierkörperbeseitigungsanlage und Tiefkühltruhe ist der Tod auf Fernseh-Realität mit Unterhaltungswert zurückgeschrumpft. Hier wagt der Künstler den Bruch, entwickelt eine ganz eigene "Künstleranatomie". Dabei schaut er zugleich in die kultische, magische Praxis unserer Vorfahren. In einer Rekonstruktionsarbeit läßt er das Objekt "Wiederbringung der verschwundenen Liebe eines Mannes" (1995) auf einer Notiz basieren, die im "Atlas der gerichtlichen Medizin" als Kuriosität vermerkt wird: "... eine ... Zeitung (berichtete) über die Auffindung eines mit Nadel durchbohrten Lammherzens in einer verlorenen Damenhandtasche. Die angestellten Ermittlungen ergaben, daß ein Liebestalisman vorlag." Ein spekulativer Rückgriff auf archaische Kultformen, auch um zu vergegenwärtigen, wie normal das war, von dem wir nur noch "abergläubische" Rudimente in den Händen halten. Als anderes Beispiel könnte das "Blutbuch" von 1990/92 (Besitz des Museums) stehen. Dieses Buch diente dem Künstler als besondere Art des Tagebuches, des Hindurcharbeitens durch eine schwierigen Schaffensphase . Der Künstler an sich ist heute, wie Micha Brendel vorführt, nicht mehr nur Provokateur und Erfinder, sondern gleichfalls Wiederentdecker und ganzheitlicher Verknüpfer. Die Ausstellung war zuvor u.a. im Kunsthaus Dresden und in Berlin zu sehen.
Jörg Sperling
Katalog, Plakat
Filmvorführung: 2.9., 19.30 Uhr
Künstlergespräch: 10.9.,19.30 Uhr
3.8. - 7.9.1999
Ergebnisse der Sommerkunstwerkstatt 1999
Rathausgalerie am Neumarkt