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Heidelberger KunstvereinHauptstraße 97
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aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition
14.3. - 11.4.1999
Mariella Bettineschi
"Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet", notierte Joseph Beuys. Mariella Bettineschi würde zweifellos dieser Feststellung zustimmen, doch sie geht noch einen Schritt weiter: Die "von ihren Freiern entkleidete Braut" wird wieder angezogen - "la vestizione della sposa" nennt die Künstlerin ihre Heidelberger Ausstellung, und sie weist auf die Wortverwandtschaften hin, die mit diesem Begriffzusammenhängen: Es geht nicht allein um die Kleidung, obwohl diese ganz wörtlich in einer Werkphase der Künstlerin eine wichtige Bedeutung erhalten hat, sondern um das Investieren, das "Einkleiden" im Sinne von Aufnehmen, in seine Rechte, in die einer Person zustehende Position Einsetzen.
Interessant sind in diesem Zusammcnhang die Hinweise, die Elio Grazioli in einem bemerkenswerten, 1997 für Mariella Bettineschi geschriebenenText gibt: Das italienische Wort für Kleidung, abito, hängt mit abitare, wohnen, zusammen. Kleidung aber ist für Mariella Bettineschi der erste Schutzring, der sich um den menschlichen Körper schließt, eine elementare Urform von Architektur. Im Spannungsfeld von Innen und Außen, von Empfindung und Umraum, entfaltet sich das vielschichtige, ebenso präzise wie poetische Schaffen der Künstlerin aus Bergamo.
Die Bezugnahme auf Duchamp meint nicht ein Zurückdrehen des Rades. Retrospektives Wiederaufgreifen von Versatzstücken einer zerschlagenen Ganzheit, gar im Sinne postmoderner Beliebigkeit, ist Bettineschis Sache nicht.
Wohl aber geht es ihr um eineAbkehr von jener rationalen, analytischen Kälte derVereinzelung, zu der das "Entkleiden der Braut" geführt hat, um ein Wiederfinden des Erzählens, eine Restitution der Aura, des Umraumes, der die Fragmente einer heute nicht mehr als überschaubares Ganzes erfaßbaren Welt dennoch miteinander verbindet, um die Herstellung eines Kontextes, der der Komplexität der Bezüge zwischen den Dingen gerecht wird, letztendlich um Kommunikation.
Mariella Bettineschis Schaffen ist nicht auf einen formalen Nenner zu bringen. Schubladendenken ist ihr verhaßt, jegliche Ideologie ein Greuel. Zu den Folgeerscheinungen von DuchampsVerstummen gehörte ja - für jene, die nicht wie er der Kunst den Rücken kehrten, sondern es wagten, nach dem von ihm gesetzten Nullpunkt weiterhin Kunst zu machen, Künstler sein zu wollen - die mitunter fast zwanghafte Suche nach einer Nische, die dann als Territorium sorgsam gehüteter Corporate Identity eifersüchtig gegenüber Konkurrenten verteidigt wurde.
Mariella Bettineschi geht nicht von formalen Vorgaben aus, formale Untersuchungen als Ausgangspunkt ihrer Arbeit interessieren sie nicht. Ihre künstlerische Identität basiert vielmehr auf einem "concetto mentale", was nicht ein rationales Konzept meint sondern ein umfassendes, gedankliche und sinnliche Erfahrungen umschließendes Vorgehen, das zur Mitteilung drängt, aus dem sich ein Erzählen entwickelt, das sich je neu die dem Thema angemessenen Formen und Techniken sucht.
Überblickt man die Werkbiographie der Künstlerin, so steht am Anfang eine eher konventionelle, aber vielseitige akademische Ausbildung. Nach einigen Ausstellungen folgen Jahre der Zurückhaltung und Selbstfindung. 1980 macht Mariella Bettineschi dann erstmals mit Interventionen im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam, später mit poetisch verfremdeten Objekten und Papierarbeiten, die so bearbeitet werden, daß sie ihren Materialcharakter vollständig verändern.
Achille Bonito Oliva wird auf die Künstlerin aufmerksam, lädt sie zur XLIII. Biennale nach Venedig ein, eine Serie von Objekten, die sich in extremer formaler Reduktion mit dem komplexen, ambivalenten Charakter der Farbe Blau beschäftigen, führt 1990 zur Beteiligung an der Heidelberger Ausstellung "Blau - Farbe der Ferne". Unter zahlreichen Arbeiten, die später in öffentlichem Auftrag entstehen, ist in diesem Zusammenhang insbesondere der wunderschöne "Blaue Wagen" zu erwähnen, den Mariella Bettineschi 1994 für Amnon Barzels Projekt "The European Sculpture City" in Turku (Finnland) geschaffen hat.
1995 wird erstmals ein großer Komplex von Zeichnungen gezeigt, die Mariella Bettineschi "Appunti", Aufzeichnungen, nennt. Es sind im Grunde plastische Arbeiten, in denen sich die aphoristische Bezeichnung des Papiers - mit wenigen Strichen hingeworfene Architektur-Entwürfe, aber auch einfache Zeichen, Punkte, sich kreuzende Linien, Sterne und kurze verbale Notate - mit fotografischen Zitaten und räumlichen Einschnitten verbinden.
1996 entstehen die "Kleider" (Abiti), die die Künstlerin 1996 aus Papier, aber auch aus anderen Materialien wie Skulpturen herausschneidet. Schnittmusterfragmente, gezeichnete Abbreviaturen, Fotografien und Projektionen lassen aus dieser Quelle einen komplexen Kosmos entstehen, der bezeichnend ist für das aktuelle Schaffen der Künstlerin: Sparsamkeit und formale Disziplin verbinden sich in sensibler Balance mit der Vielschichtigkeit einer je neuen räumlichen und inhaltlichen Bezugnahme, die jede Ausstellung der Künstlerin zu einem spezifischen Ereignis macht. Es geht ihr nie um eine mehr oder weniger additive Präsentation von Arbeiten, sondern immer um eine konkrete, raumbezogene, genau vor Ort überdachte Inszenierung, ohne daß dabei die Identität des einzelnen Bildes oder Objektes an Bedeutung verlieren würde.
In den letzten Jahren spielte mehr und mehr das Licht eine wichtige Rolle im Schaffen Mariella Bettineschis. Die Heidelberger Ausstellung ist primär diesem Thema gewidmet, doch wie ihr Titel andeutet, geht es nicht um das Licht als isoliertes, gar "bloß" physikalisches Phänomen, sondern um dessen die Dinge umspielende, verwandelnde, be- und verkleidende, aus Materie Bilder, Vorstellungen, Visionen schaffende Kraft.
Drei Jahre lang hat Mariella Bettineschi fotografiert, am liebsten ging sie in der lichtträchtigen Weihnachtszeit auf die Jagd. Ihre "Beute" bestand schließlich aus einem Fundus von rund 4000 Diapositiven, aus denen sie ausgewählt und zum Teil weiterbearbeitet hat, was nun - als Projektion und als Objekt aus der Fülle des Materials herausgefiltert und aus der Realität seiner Herkunft in die neue Wirklichkeit der Ausstellung und des Katalogs - auch er ist nicht lediglich Dokument, sondern sorgsam gestaltetes Objekt - eingebracht wird, ein Kondensat von Erfahrung, das sich zum Medium der Kommunikation verdichtet.
(Hans Gercke, Die Braut wird angezogen. Auszug aus dem Text des Katalog.)
Eröffnung: Sonntag,14. März, 11 Uhr Die Künstlerin ist anwesend
Einführung: Hans Gercke
Der Katalog (italienisch/deutsch, mit Beiträgen von Giorgio Verzotti, Gianni Romano und Hans Gercke) kostet 25,- DM, für Mitglieder 20,- DM.