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Heidelberger Kunstverein

Hauptstraße 97
69117 Heidelberg
Tel. 06221 - 18 40 86: Fax 06221 - 16 41 62
Di - So 11 - 17 Uhr, Mi 11 - 20 Uhr
hdkv@hdkv.de
www.hdkv.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

30.5. - 27.6.1999


Karl Hartung

Metamorphosen von Mensch und Natur

 

 

Da das Kurpfälzische Museum derzeit die Halle des Kunstvereins für seine archäologische Ausstellung nutzt, ist der Kunstverein, erstmals wieder seit Jahren, in den Ausstellungsräumen des Heidelberger Schlosses zu Gast. Dabei ergibt sich ein eigenartiger Kontrast zwischen den monumentalen Götter- und Heroenskulpturen der Renaissance, die aus konservatorischen Gründen im Inneren des Ottheinrichsbaus aufgestellt (und außen durch Kopien ersetzt) wurden, und den ihnen nun zugesellten kleinen und großen Figuren aus Stein, Bronze und Holz, die der 1908 in Hamburg geborene Karl Hartung zwischen 1924 und 1967 geschaffen hat. Und doch stehen auch diese Arbeiten letztendlich in der gleichen Tradition, der großen, sich auf die Antike beziehenden Entwicklung der abendländischen Skulptur, deren dominierendes Thema die menschliche Gestalt ist - eine Entwicklung, deren Kontinuität auf dem Vertrauen in die Aussagekraft des Körpers beruht, auf der Gewißheit, daß Äußeres auch über Inneres Auskunft zu geben in der Lage ist, daß Natur transparent sein kann für die Erfahrung des Geistigen.

Zweifel an dieser Gewißheit und auch die Kenntnis anderer, außereuropäischer Gestaltungskonzepte haben den Werdegang der Kunst unseres Jahrhunderts entscheidend beeinflußt. Die Werkentwicklung Karl Hartungs, eines der großen Klassiker der Skulptur unseres Jahrhunderts, repräsentiert diesen Prozeß auf eindrucksvolle Weise.

Die vom Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg unser Dank gilt insbesondere Dr. Irmtraud Frfr. von Andrian-Werburg - in enger Zusammenarbeit mit der Tochter des Künstlers, Hanne Hartung, zusammengestellte, für Heidelberg noch einmal speziell akzentuierte Werkauswahl dieser Wanderausstellung vermittelt einen konzentrierten Überblick über die bei aller Eigenständigkeit spezifische Bandbreite des Schaffens von Karl Hartung, über den in Hamburg geborene und in seiner spröden Mentalität stets Norddeutscher gebliebene Karl Hartung hatte nach einer Holzbildhauerlehre und dem Besuch der Kunstgewerbeschule seiner Vaterstadt, wo er bei Johann Bossard studierte, von 1929 bis 1932 - zunächst mit Hilfe eines einjährigen Lichtwark-Stipendiums - in Paris die maßgeblichen Strömungen der modernen Plastik kennengelernt und sich mit den Werken noch in der Klassik wurzelnder zeitgenössischer französischer Bildhauer wie Aristide Maillol (1861 - 1944), Antoine Bourdelle (1861 - 1929) und Charles Despiau (1874-1946) auseinandergesetzt. Im Jahre 1932 reiste er über Südfrankreich nach Florenz, wo er seine Studien fortsetzte und die ihm wesensfremde italienische Renaissance des Quattrocento und Cinquecento erlebte. Nach Hamburg zurückgekehrt, hatte Hartung in der Hansestadt seine ersten kleineren Ausstellungen, u.a. mit dem geistesverwandten Richard Haizmann (1895- 1963), mit dem er bereits im September 1935 im "Kunstraum Lüders" gemeinsam ausstellte(.. .).

Auf einer späteren Reise nach Paris im Jahre 1939 beschäftigte sich Hartung eingehend mit dem Schaffen von Brancusi, Arp und Laurens, deren Einflüsse in seinen frühen abstrakten Werken evident erscheinen. Während des Krieges lernte er bei einem Besuch in Paris 1943 Constantin Brancusi (1876- 1957) auch persönlich kennen. In Hartungs ersten abstrakten Arbeiten wie "Durchlöcherte Form" und "Vogelform" wird im Hinblick auf Formkonzeption und Materialauffassung eine Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Brancusi augenfällig; der "Kleine Liegende" von 1937 läßt außerdem auf eine Begegnung mit den frühen "reclining figures" von Henry Moore (1898-1986) schließen, deren Formmotiv den Bildhauer während der ersten Nachkriegsjahre 1947/48 stark beeinflußte und zu eigenen kraftvollen Varianten anregte.

Als Hartung nach Kriegsende bei Rosen erstmals eigenständig an die Öffentlichkeit trat, beherrschte er das weitgespannte Formrepertoire der abstrakten Moderne, das bis dahin hierzulande noch weitgehend unbekannt geblieben war. Seine in Holz, Marmor, Ton und Bronze geschaffenen Formkörper sind von innen her voluminös, in ihrem Kern von eminent skulpturaler Energie erfüllt. Ihre skulpturale Intensität durchpulst auch die reichgemaserten, vielfaltig glänzenden oder nuancenreich patinierten Oberflächen seiner Werke. Man muß diese glattgeschliffenen oder blankpolierten Körper jener Schaffensphase im wörtlichen und übertragenen Sinne "begreifen", um ihre Plastizität und Dinghaftigheit voll zu erfassen.

Ausgangspunkte für Hartungs bildnerische Schöpfung sind gleichermaßen die "Formen des Lebens" und das "Leben der Formen", um Begriffe von Herbert Read anzuwenden. Einmal verwandelt der Künstler in der Natur vorhandene Formen in den bildnerischen Werkstoff, abstrahiert er von der Natur in Richtung auf das Skulpturale schlechthin, zum anderen bildet er aus seiner Phantasie heraus freie Formen, die eigenes Leben ausstrahlen. Dabei wirken die Werke aus beiden Bereichen im großen wie im kleinen Format im gleichen Ausmaß herb, kraftvoll und oft auch monumental.

Hanns Theodor Flemming

 

Nachdem Karl Hartung 1951 Professor an der Hochschule für bildende Künste (Berlin) geworden war und in den folgenden Jahren eine große Anzahl von "Kunst am Bau"-Projekten verwirklichen konnte, ging 1957 für die ganze Familie der Wunsch nach einem eigenen Haus in Erfüllung. Die 1904 erbaute Jugendstilvilla mit zwölf Zimmern und einem großen, von dem Landschaftsarchitekten Matern angelegten, aber völlig verwilderten Garten hatte Geschichte: Ödön von Horvath hatte hier gedichtet, die ungarische Botschaft oder Vertretung war im Krieg kurzzeitig darin untergebracht, die jüdischen Bauherren flohen nach Amerika. Nach dem Krieg ließ eine Hamburger Verlegerfamilie das Haus modernisieren, mit Hans Scharoun als Innenarchitekten. Jahre später erfreute er sich als Freund der Familie seiner ersten innenarchitektonischen Arbeiten: eine wundervolle Bibliothek, ein offener Kamin, beleuchtete Schränke, Emporen und Einbaumöbel in fast jedem Zimmer. Leider wurde dieses Haus 1976, nachdem wir 1975 endgültig nach Schleswig-Holstein gezogen waren, von der "Neuen Heimat" abgerissen. Acht lange Jahren hatten wir uns vergeblich bemüht, Denkmalschützer und Landeskonservatoren von dem Wert des Hauses zu überzeugen und den Erhalt zu erreichen.

Auch meine Mutter bekam in dem neuen Haus nun endlich ein Atelier zum Malen - allerdings kam es selten oder fast nie vor, daß beide Eltern gleichzeitig arbeiteten; obwohl mein Vater die Bilder meiner Mutter sehr schätzte, war es ihm äußerst unangenehm, wenn sie malte - ja es lähmte seine eigene Schaffenskraft. Er versuchte, sie mit allen möglichen und unmöglichen Tricks aus dem Atelier zu locken.

Hartungs Schlüsselbegriff ist die Metamorphose. Er gestaltete gänzlich abstrakte, biomorphe Plastiken und weich geschwungene, figürliche Darstellungen, beide mit straff gespannten Oberflächen, die sich wie unter einem inneren Druck nach außen stemmen. Fast immer scheinen dic voluminösen Formen einem organischen Kräftespiel unterworfen zu sein und sich im Zustand der Verwandlung zu befinden. Für Hartung war die Schöpfung eins, ihre Wirkungsmacht in allen Formen sichtbar. Entsprechend machte er keinen Unterschied zwischen "freier", also abstrakter, und gegenständlicher, an das Naturvorbild direkt angelehnter Gestaltung. Bis zu seinem Lebensende weigerte er sich, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen: "Die Natur ist immer gleich, nur unser Sehen wandelt sich.

... In der Natur entdeckt man nur, was man selber ist...."

 

Markus Krause

 

 

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