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Heidelberger Kunstverein

Hauptstraße 97
69117 Heidelberg
Tel. 06221 - 18 40 86: Fax 06221 - 16 41 62
Di - So 11 - 17 Uhr, Mi 11 - 20 Uhr
hdkv@hdkv.de
www.hdkv.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

20.5. - 20.6.1999


Joachim Kreiensiek

Anatomie der Nacht

 

 

 

Während der Ausstellung "Unbekannte Krim - Archäologische Schätze aus drei Jahrtausenden ", die das Kurpfälzische Museum vom 9.5. bis zum 8.8.1999 in seinen eigenen Räumen und in denen des Kunstvereins zeigt, veranstaltet der Kunstverein - neben der Hartung-Retrospektive auf dem Heidelberger Schloß, s. o. - in seiner Studiogalerie im Untergeschoß des Ausstellungsgebäudes Hauptstraße 97 zwei Ausstellungen (s. auch S. 10).

Die erste wird, erstmals in dieser Form, als Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Kunstverein Ludwigshafen durchgeführt, wo der in Mainz lebende Künstler Joachim Kreiensiek - er war bereits 1996 mit einer eindrucksvollen Arbeit in derAusstellung "Beispiele - Kunst des 20. Jahrhunderts aus Heidelberger Privatbesitz" im Heidelherger Kunstverein vertreten - vom 21. Mai bis zum 4. Juli ein umfangreiches Panorama seiner Arbeiten vorstellt. Die Zusammenarbeit der beiden Kunstvereine ermöglichte eine wesentliche Verbreiterung dieses Spektrums. Sie versteht sich zugleich als Modell möglicher Kooperation in einer Region, in der die geringe Entfernung, zwischen den Städten und ihren Ausstellungsinstituten sinnvolle Verbindungen und Ergänzungen nahelegt. Sehen Sie sich also die Heidelberger Ausstellung an und fahren Sie dann nach Ludwigshafen, wo Sie die gewonnenen Eindrlicke vertiefen und ergänzen können.

Kreiensieks Bilder leben von einer sehr spezifischen Balance zwischen spröder, zeichenhafter Abstraktion und einer für Assoziationen unterschiedlicher Art offenen expressiven Sinnlichkeit. Zu einem wesentlichen Teil auf den kargen, aber kraftvollen Kontrast der "Nichtfarben" Schwarz und Weiß gestimmt - erst in jüngster Zeit wird diese strenge Polarität zugunsten verhaltener Farbigkeit wieder relativiert - wirken sie wie Partituren des Lichts, wie geheimnisvolle Tafeln, auf denen Lichtpunkte nach Regeln angeordnet sind, deren Sinn zwar wahrgenommen, nicht aber verstanden werden kann.

Zwischen Chaos und Ordnung, Rationalität und Irrationalität oszillieren diese rätselhaften "Texte", denen aleatorische Züge ebenso eigen zu sein scheinen wie unverkennbar die Merkmale eines wie auch immer gearteten systematischen Vorgehens. Parallelen zur sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit scheinen auf: Der Betrachter fühlt sich an Makro- oder Mikrokosmisches erinnert, an Sternbilder oder auch an die Lichter einer Großstadt, an den flutenden Lichtstrom mehrspuriger Autobahnen, die erleuchteten Fenster eines Hochhauses.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß Lötplatinen der (banale?) Ausgangspunkt dieser fotorealistisch präzise gearbeiteten Bilder sind. Man fragt sich verblüfft, warum der Künstler diesen Umweg über die Realität wählt, warum er nicht in freier Gestaltung seiner Phantasie die Zügel schießen läßt oder einer konstruierenden Komposition am Schreibtisch, gleichsam "aus der Retorte", den Vorzug gibt. Die Antwort kann nur lauten: Weil dies eben keine "moderne" Malerei ist, die Gegenständliches allenfalls als Material, als Anlaß oder Ausgangspunkt ibstrahierender, jedenfalls autonomer Formerfindung gelten läßt, sondern eine Kunst.

Kreiensieks Malerei ist keine Kunst der 60er Jahre, sondern eine, die die Beschäftigung mit vorgefundener und erlebter Realität, die Kunstgeschichte der Ready mades und der Objets trouvés, verinnerlicht und verarbeitet hat und auch die Geschichte vom Hasen und dem Igel, die darauf hinausläuft, daß, wer sich von der Wirklichkeit abwendet, allemal von dieser eingeholt wird. Die Intensität der hier besprochenen Bilder resultiert aus einer ebenso präzisen wie paradoxen Offenheit, die referiert und reflektiert und dabei doch zugleich etwas Neues, Anderes, entstehen läßt. Die - nach wie vor unbestrittene - Autonomie des Bildes wird so erneut in jenem Kontext verankert, dem die Moderne zu entfliehen trachtete.

Konstrukt und Anschauung, Objekt und Subjekt, makro- und mikrokosmische Aspekte, Natur und Technik, Hinweise auf Ordnung und Chaos, auf die Relationen des Einzelnen und des Ganzen verbinden sich in minimalistisch-knapper Diktion zu Bildern von bemerkenswerter Komplexität, deren Schlüssel, wie Beate Reifenscheid 1998 im Katalog von Kreiensieks Saarbrücker Ausstellung darlegt, "nicht mehr in der technischen Materie, sondern im betrachtenden Umgang selbst begründet" liegt.

"Im Sinne eines archetypischen Bewußtseins wirkt die Farbe Schwarz von Kreiensieks geistigen Raum-Landschaften unendlich, undurchdringlich, als das, was die Vorsokratiker Apeiron nannten (...) Das Apeiron ist raumzeitlich unbegrenzt. Daher ist es ohne Anfang und Ende, ein ständiges Werden und Vergehen von Welten", schreibt Claude a Sui im Katalog der gemeinsamen Ausstellung.

Faszination paart sich mit Angst, die Schrift an der Wand gerinnt zum Menetekel. Wer steuert da wen? Wer wird wie und von wem, warum und wohin gesteuert? Wie verhalten sich Ursachen und W rkungen zueinander? Welchen Stellenwert hat der Einzelne im Ornament der Masse, im unüberschaubaren Kosmos vorgegebener und selbstgemachter Systeme? Welche Möglichkeit gibt es, sich im ordnenden, bergenden, aber auch - im doppelten Sinn - fesselnden Netz dieses energetisch fließenden, dynamisch pulsierenden Ganzen zu halten, welche, ihm zu entrinnen?

Hans Gereke

 

"Der Betrachter fühlt sich von den großen Bildtafeln mit ihren hieroglyphischen Mustern ebenso angezogen wie ihnen ausgeliefert. Die Bildbotschaft selbst aber bewahrt sich in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis ihre Entschlüsselungsbereitschaft und ihre letzten Refugien von geheimnisvoller Rätselhaftigkeit."

Beate Reifenscheid

 

Eröffnung am 19.5.1999, 17 Uhr. Der Künstler ist anwesend.

Einführung: Hans gercke und Barbara Auer

 

 

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