german galleries / index cities / index galleries / index artists / index Baden-Baden


Staatliche Kunsthalle Baden-Baden

Lichtentaler Allee 8 A
76530 Baden-Baden
Tel. 07221 - 30076-3; Fax 07221 - 385 90
täglich außer Mo 11 - 18 Uhr, Mi 11 - 20 Uhr
info@kunsthalle-baden-baden.de
www.kunsthalle-baden-baden.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

01.05. - 27.06.2004


Ha Kypopt!

Russische Kunst heute

Wer sind heute die maßgeblichen Vertreter zeitgenössischer Kunst in Russland? Auf das große westliche Interesse im Zuge der Perestroika folgte eine Phase mäßig intensiven Austauschs. Aber was passierte nach Gorbatschow und Kabakov? Die Ausstellung »HA KYPOPT!« (übers.: »Auf zum Kurort«) in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden präsentiert als Antwort und zur weiteren Diskussion eine Ausstellung zur zeitgenössischen Kunst Russlands. Gezeigt werden Installationen, Fotografien, Videos und Performances von mehr als 35 Künstlerinnen und Künstlern, die Aspekte der russischen Kunstszene in Moskau und Berlin aus den letzten zehn Jahren widerspiegeln.

Russland und Baden-Baden haben eine spezielle Beziehung zueinander. »Kurort« ist als Lehnwort ins Russische eingewandert (titelgebend für unsere Ausstellung: KYPOPT). Zudem sind »Kurort« und »Baden-Baden« auf russisch fast Synonyme ­ welch liebevoller Blick aus den Tiefen des nach wie vor großen Russlands auf die Kurstadt an der Oos! Schon Fjodor Dostojewski, berühmter Besucher Baden-Badens und seines Casinos, reicherte seinen grotesken, in Teilen tragischen Roman »Der Spieler« mit humorvollen Beobachtungen aus »Roulettenburg« (=Baden-Baden) an. Zur Eröffnung der Ausstellung kehrt Dostojewski in seinem künstlerischen Wiedergänger Wladislaw Mamyschew-Monroe zurück.

Dem Russlandreisenden begegnet heute eine lebendige Kunstszene, in der sich Performance mit Gesellschaftskritik, Clownesk-Aggressives mit zarter, literarisch und philosophisch wohlinformierter Poesie trifft. Spürbar ist ein anarchisches Beharren auf der Freiheit der Kunst. Man ist intellektuell aufgewühlt, hochkonzentriert, aufmerksam, sehr kraftvoll - das Gegenteil von gelähmt! Kennzeichen dieser Generation junger Künstler ist ihre direktere Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität. Im Gegensatz zum intellektuellen Moskauer Konzeptualismus der 1980er Jahre sucht die Generation der 1990er den direkten Dialog mit dem Sozialen und dem Alltäglichen. Künstler wie Boris Mikhailov und Georgij Perwow zeigen in ihren Fotoarbeiten die Umbrüche und sozialen Härten des gesellschaftlichen Wandels in Russland oder greifen als soziale Plastiker direkt in gesellschaftliche Strukturen ein. So initiiert der Künstler Nikolaj Polisski in dem russischen Dorf Nikola-Leniwez kollektive Aktionen, an denen die ganze Gemeinde beteiligt ist. Auch Wladimir Archipow sucht den Dialog mit der Nicht-Kunst des Alltags. In seinem in Baden-Baden durchgeführten Projekt »Funktionierende Bildhauerei aus Baden« hat er Alltagserfindungen und Selbstgebasteltes aus Baden-Baden und Umgebung aufgespürt, um die Gebrauchsgegenstände als Dokumente alltäglich angewandter Kreativität in der Ausstellung zu präsentieren. Als Vertreter eines linken sozialen Aktivismus versteht sich auch die Moskauer Künstlergruppe »Radek«. In Gemeinschaftsprojekten und politischen Demonstrationen versuchen die Mitglieder, den Wert kollektiver schöpferischer Prozesse in einer sich zunehmend individualisierenden und konsumorientierten Gesellschaft zu retten.

Körper und Performance-Kunst

Der Ort unmittelbarer Auseinandersetzung mit der physischen Realität ist der Leib ­ eine häufig wiederkehrende Metapher in der zeitgenössischen russischen Kunst. Künstler wie Irina Korina oder »Die Blauen Nasen« hinterfragen den gesellschaftlich geformten Körper. Für Oleg Kulik ist der menschliche Körper ein wichtiger ­ wenn nicht der einzige übrig gebliebene - Anhaltspunkt individueller Selbstvergewisserung. In der Ausstellung ist der international bekannte Künstler mit seinen erotisch aufgeladenen »Lolita«-Darstellungen vertreten. Symbolisch stehen sie für den Versuch, den Leib als Individualität zurückzugewinnen, den Leib, der im Kommunismus als sozialisierter Körper tendenziell enteignet war. Ein wichtiges Ausdrucksmittel ist der menschliche Körper auch im Bereich der Performance-Kunst, die zu Beginn der Ausstellung großen Raum einnimmt (La Rose Sauvage, Natalia Mali / Andrei Prigov, Marina G. M. Ljubaskina-S., Wladislaw Mamyschew-Monroe, Nina und Torsten Römer, Leonid Sochranski). Elena Kovylina, eine Vertreterin der bis zur Autoaggression radikalen Performance, wird im Rahmen der Ausstellung eine Teezeremonie ausrichten, die vor ihr und um sie herum in Flammen aufgeht. Der Performance-Künstler Wladislaw Mamyschew-Monroe dagegen nutzt seinen Körper als historische Projektionsfläche. Regelmäßig versetzt er sich performativ in zeitgenössische und historische Persönlichkeiten wie Hitler, Bin Laden oder auch Lenin. In Baden-Baden nimmt er auf die deutsch-russische Vergangenheit der Stadt Bezug und verkörpert die Figur Fjodor Dostojewski. Die Rückkehr Dostojewskis als »Der Spieler« wird über die Eröffnung hinaus in der Ausstellung anhand von Fotografien dokumentiert.

Wie Wladislaw Mamyschew-Monroe nutzen viele zeitgenössische Künstler in Russland die Kunst zur Selbstbestimmung in dem vom Umbruch geprägten postsowjetischen Land. Nach der ersten Perestroika-Begeisterung ist man heute ernüchtert. Da sich manche künstlerische Hoffnungen auf einen Dialog zwischen dem Sozialen, Politischen und den Medien bis heute nicht erfüllt haben und sich manche Künstler (in Moskau spöttisch die »Neoliberalen« genannt) zunehmend nach dem Kunstmarkt ausrichten, fordern Künstlerpersönlichkeiten wie Oleg Kulik bereits eine Rückbesinnung auf das Atelier (vgl. sein Video »Das Koordinatensystem«). Damit ist kein Rückzug verbunden, vielmehr soll aus der Konzentration des Ateliers Kunst als kritisches Korrektiv und als kulturelle Gegenkraft umso klarer hervorgehen.

Beteiligte Künstlerinnen und Künstler sind: Viktor Alimpijew, Tatjana Antoschina, Wladimir Archipow, Jelena Berg, Sergej Bugajew Afrika, Genia Chef, Die Blauen Nasen, ESCAPE Programm, Olga & Alexander Florenski, Archi Galentz, Aleksandra Koneva, Irina Korina, Valerij Koschljakow, Alexej Kostroma, Elena Kovylina, Oleg Kulik, La Rose Sauvage, Marina G. M. Ljubaskina-S., Natalia Mali und Andrei Prigov, Wladislaw Mamyschew-Monroe, Boris Mikhailov, Wikentij Nilin, Nikolaj Owtschinnikow, Georgij Perwow, Nikolaj Polisski, Vitalij Puschnizki, Radek Gruppe, Nina und Torsten Römer, Sergej Schutow, Anatolij Shurawljow, Wasilij Slonow, Leonid Sochranski, Natalia Turnowa, Where dogs run, Sergej Wischnewski, Dmitrij Zwetkow

Katalog: Matthias Winzen / Georgij Nikitsch (Hg.), mit Texten u.a. von Oleg Aronson, Jekaterina Degot, Nicole Fritz, Jörg Katerndahl, Viktor Misiano, Nina und Torsten Römer, Olesja Wladimirowna Turkina und einer bebilderten Chronik 1991-2003 von Ekaterina Lazareva und Georgij Nikitsch sowie Beiträgen der Künstlerinnen und Künstler, Wienand-Verlag Köln, ca. 200 S. mit 100 farbigen und 30 s/w Abb., Euro 27

Das Projekt wird durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert und vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg unterstützt.

Weitere Informationen und Begleitprogramm unter: www.kunsthalle-baden-baden.de

 

Eröffnung der Ausstellung durch Herrn Staatssekretär Michael Sieber am 30.4.2004, 19 Uhr

Pressekonferenz am 28.4.2004, 11 Uhr

 

 

german galleriesindex citiesindex galleriesindex artists