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Kunstverein Göttingen e.V.

Büro im Künstlerhaus
Gotmarstr. 1
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37015 Göttingen
Tel. / Fax 0551 - 448 99

Ausstellungsraum:
im Alten Rathaus
Markt 9
37073 Göttingen
Di - So 11 - 17 Uhr
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

13.9. - 25.10. 1998


Ákos Birkás

kopfraumkörperbilder

 

Die Bilder, die Ákos Birkás in der Ausstellung "kopfraumkörperbilder" zeigt, gehören zwei Gruppen an, die sich schon in ihren Formaten deutlich voneinander abgrenzen: übermannsgroße Hochformate, etwa von den Ausmaßen einer Tür, und kleine Hoch-, Quer- oder fast quadratische Formate, deren Seitenlängen die eines Unterarms mit Hand in der Regel nicht übersteigen. Die kleinformatigen Bilder, von Ákos Birkás als "Fußnoten" bezeichnet, haben eine spontane, skizzenartige Wirkung. In ihnen hebt sich das Motiv, die Kopfform, vom monochromen, durch vertikale und horizontale sich kreuzende Farbbahnen strukturierten Untergrund stärker durch die kreisenden, in die Maloberfläche vom Malspachtel gepflügten Spuren ab als durch den Farbkontrast. Ihr gestischer Charakter erinnert an die frühen Bildnisse, die der junge, noch nicht dreißigjährige Birkás Ende der sechziger Jahre in Budapest gemalt hat und von denen einige aus Katalogabbildungen bekannt sind (die meisten sind offensichtlich von Birkas in einer krisenhaften Auseinandersetzung mit seiner frühen Malerei zerstört worden). Diese frühen Porträts sind von der Spannung und Expressivität geprägt, die an den Wiener Expressionismus von Kokoschka, Gerstl und Schönberg erinnern, und die ihr zeitgenössisches Pendant in den Porträts von Frank Auerbach und Leon Kossof haben.

Führt von den "Fußnoten" eine Spur zur gestisch-expressiven Malerei, so gibt es von den großformatigen Bildern eine Verbindungslinie zur geplanten, rationalen Malerei. Finden sich in den "Fußnoten" neben den Frontal- auch Seiten- und Doppelansichten des Kopfes und variiert in ihnen das Größenverhältnis von Bildmotiv und Bildmaß stark, so sind die Großformate durch ein einheitliches, zwischen Bildober- und Bildunterkante ausgespanntes Längsoval gekennzeichnet. In manchen Bildern erinnert das Oval durch die Verbreiterung im oberen Drittel noch an seinen Ursprung aus der Kopfform.

Vorbereitet wurde das Kopfoval im Medium der Fotografie. Anfang der siebziger Jahre hatte Birkas die Malerei zugunsten von Fotografie, Film und Installationen aufgegeben. Eine der damals entstandenen Fotoserien zeigt Porträts eines Freundes, in denen sich durch die Wahl des Ausschnitts, der Beleuchtung und der Mimik des Porträtierten das Kopfoval der ab den achtziger Jahren wieder entstehenden Bilder andeutet. In den Bildern wird der Kontrast zwischen dem Oval des Bildmotivs und dem Bildgrund sowohl durch die Gestaltung der Maloberfläche - kreuzende vertikale und horizontale Spachtelspuren im Grund, kreisende, in die Länge gezogene Pinselzüge im Oval - wie durch die Farbe hergestellt. Zu einer Verbindung zwischen Bildmotiv und Bildgrund kommt es häufig dadurch, daß die Hauptfarbe des Ovals andeutungsweise im Bildgrund auf taucht oder dadurch, daß die äußerste Kreisbahn des Ovals in der Farbe des Untergrundes gehalten ist.

Das klare Kompositionsschema, die klassisch-ideale Gestaltung des Bildmotivs und seine klare Setzung im Bildformat verleihen diesen Bildern eine ikonenhafte Wirkung. Einheit und Geschlossenheit von Form und Farbe werden allerdings wieder aufgehoben durch die Zweiteiligkeit der Bilder. Halb- und Dreiviertelovale, gelegentlich nur gekappte Sektoren davon, werden so übereinandergeschoben, daß sie sich annähernd zu einem ganzen Oval im Rechteck ergänzen. Unwillkürlich ist der Betrachter versucht, die sichtbaren Fragmente zu ergänzen, sich eine Vorstellung von dem Verborgenen zu machen und sich nach der Richtigkeit so gemachter Vorstellungen zu fragen. Birkas spielt mit unserer Neugier, die uns zwingt, den Stein am Boden umzudrehen, Rätsel nicht als Rätsel weiterbestehen zu lassen, Aufdeckbares aufzudecken. Im Gegensatz zu frühen Flügelaltären, deren Inneres durch Öffnen sichtbar wird, verwehren sich Birkas' Bilder einem derart mechanischen Zugang und lassen den Betrachter über die Beschaffenheit ihres Inneren im Unklaren.

Parallel zu den Bildern und Zeichnungen von Ákos Birkás zeigt der Kunstverein Göttingen eine Auswahl von grafischen Arbeiten von Josef Albers in einer Studioausstellung unter dem Titel "Der Weg zum Quadrat". Es war die erklärte Absicht von Josef Albers, Meditationsbilder des 20. Jahrhunderts zu schaffen. Normierung von Form, Farbe und Bildoberfläche waren ein wichtiges Element seiner Vorgehensweise. Psychische Empfindungen sollten allein durch die Wahrnehmung der Farben entstehen, die nach einem ableitbaren und physiologische Gegebenheiten ins Kalkül ziehenden System kombiniert wurden. Ein derartiges planvolles Vorgehen ist Birkás' Kunst wesensfremd. Zwar verbindet ihn mit Albers manches wie die Reduktion der Bildkomposition, die Bedeutung der Koloristik und das vorsichtige Ausloten der Bildidee durch Variation. Aber weder sind Birkas' Bilder aus einem Streben nach Vollkommenheit geschaffen, noch liegt ihnen ein Glaube an gültige Lösungen zugrunde. Wäre es so, so stünde am Ende der Kopfovale ein "Urbild", dem Ei gleichend, das Piero della Francesca auf seinem letzten Tafelbild, der in der Mailänder Brera aufbewahrten "Pala des Montefeltro", als Sinnbild der Welt in der Wölbung über der Madonna mit dem Kind auf dem Schoß schweben läßt. Birkás' Bilder sind angesiedelt im Spannungsfeld zwischen geschlossener und aufgebrochener Form. Ihre gleichförmig gezogenen, in einer dunklen Mitte mündenden Kreisbahnen lassen Formen entstehen, die gleichermaßen an einen festgefügten Körper wie an einen alles verschlingenden Malstrom erinnern.

(Vorwort zum Ausstellungskatalog "Ákos Birkás". Kurt von Figura, Kunstverein Göttingen)

 

 

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