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Kunstverein Hannover
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20.04.-16.06. 2013
Brian Jungen
Der kanadische Künstler Brian Jungen (*1970), Sohn einer nordamerikanischen Ureinwohnerin und eines Schweizer Einwanderers, thematisiert in seinen großformatigen Skulpturen und Installationen das Verhältnis von indigener und globaler Kultur. Die Einzelausstellung des documenta 13-Teilnehmers im Kunstverein Hannover konzentriert sich sowohl auf Neuproduktionen als auch Arbeiten der letzten Jahre, die erstmals in Europa präsentiert werden.
Jungen spielt in seinem vielschichtigen künstlerischen Werk mit dem vorherrschenden Bild des Indianers und konfrontiert es mit der profanen Wirklichkeit.
Er verwandelt Gegenstände moderner Lebens- und Konsum- oder Unterhaltungskultur in traditionelle Objekte indianischen Lebens. Mit der Kombination unterschiedlicher Materialien erzeugt Jungen ein ambivalentes Bedeutungsgeflecht zwischen traditionellen indianischen Handwerkstechniken, klischeehafter Adaption indianischer Kultur und der realen Gegenwart der »First Nations« Kanadas.Gleich zu Beginn der Ausstellung kommt das Bild des Indianers als »bedrohlich Wilder« zum Tragen: zum einen in der Skulptur »The Prince« (2006), eine aus Baseball-Handschuhen in handwerklicher Manier zusammengesetzte, kriege-isch anmutende Figur mit Kopfschmuck, zum anderen in der Arbeit »Skull« (2006-2009); diese zeigt, wie der Name schon sagt, einen Totenkopf, der aus den Bestandteilen im Park gefundener Baseballs gefertigt wurde.
Beeinflusst vom heutigen indianischen Alltagsbild in Nordamerika entstand Bri-an Jungens neueste Serie von drei in Hannover produzierten Arbeiten (»Moon«, »Mother Tongue«, »Companion«, 2013). Die jeweils aus zwei PKW-Kotflügeln zusammengesetzten und mit Tierhaut bespannten Skulpturen erinnern an in die Vertikale gebrachte Trommeln. Die Autoteile stehen stellvertretend für die Autovans, die eine typisch indianische Familie absurderweise auf oder nahe ihrer Wohnparzelle ungenutzt versammelt; mit den Kühltruhen, die den drei Skulpturen als Sockel dienen und die ebenfalls gegenwärtig in jedem indianischen Haushalt zu finden sind, spielt Jungen auf die Konservierung gejagter Tiere an. In Kanada genießt ein Teil der Ureinwohner gesetzlich geregelte Privilegien gegenüber der restlichen Bevölkerung im Hinblick auf die Jagd wilder Tiere als Nahrungsbeschaffung.
Rituale und Dresscodes im Sport, die besonders in Teamsportarten wie Football, Baseball oder Basketball von Bedeutung sind, faszinieren Brian Jungen, daher finden bei ihm Sportartikel als künstlerischer Rohstoff häufig Verwendung. In der Serie »Blankets 2-7« (2008) verwandeln sich in Streifen geschnittene Basketball- und Football-Trikots mittels Webtechnik in individuell gemusterte Decken und lassen so eine Parallele zwischen den Stereotypen der Indianer- und der Fankultur entstehen - beziehen sich doch die Namen von Sportmannschaften wie Indians oder Red Skins oftmals auf das Klischeebild des »wilden« Indianers.
Der Kontrast zwischen industriell gefertigten Dingen und Handarbeit tritt auch in Jungens Wasser- und Kraftstoffkanistern mit den Titeln »Seed«, »Cut lines« und »Water hemlock« zutage. Die unzähligen, in die Wandungen der drei Behälter eingearbeiteten kleinen Löcher erinnern an Stickmuster und verweisen durch ihre jeweilige Gestaltung auf eine Verbindung zur Natur. So spielt das spiralförmige Muster von »Seed« (2012) auf die Fibonacci-Folge in der Natur an. Die Anordnung von Blättern oder Samen in den Blütenständen beispielsweise, wie sie sich durch die Fibonacci-Zahlen beschreiben lässt, sorgt dafür, dass Pflanzen die beste Lichtausbeute erzielen.
Neben der Infragestellung kultureller Stereotypen arbeitet Jungen mit der Dar-stellung von Identität, Symbolik und Bedeutung. Das aus Damenhandschuhen aus rotem Leder genähte Wandobjekt »Wieland« (2006) bildet das stilisierte 11-zackige Ahornblatt der kanadischen Nationalflagge nach und ist gleichzeitig eine Hommage an die kanadische avantgardistische Filmemacherin und Künstlerin Joyce Wieland (1931-1998).
Die über zehn Meter lange Arbeit »Five year universe« (2011) besteht aus 20 aneinandergefügten Silbergelatinedrucken auf Schaumstoff, von denen jeweils vier - wären sie in ihrer ursprünglichen Bildform zusammengesetzt - eine Tierhaut mit fehlendem, kreisrundem Mittelteil abbilden. Die auf den Drucken fehlenden runden Tierhautfragmente kehren in der in demselben Raum präsentierten Serie, die traditionell gefertigte Trommeln aus Tierhaut mit Designklassiker-Sitzmöbeln kombiniert, in »Eero« (2011), »Walking Heart« (2011), »The Mom Call« (2011) und in »My Decoy« (2011) wieder. Jungen überführt in diesen Arbeiten Kultobjekte westlicher Konsumkultur in die Formensprache kultischer Gegenstände und überwindet die Grenzen zwischen ethnologischem Anschauungsobjekt und Warenfetischismus.
Exemplarisch für dieses Verfahren steht auch die imposante Werkgruppe der fünf über dreieinhalb Meter hohen Säulen (»1960«, »1970«, »1980«, »1990«, »2010«) im großen Saal des Kunstvereins. Aus der Ferne scheint es sich um überdimensionale Totempfähle mit den für sie typischen maskenartigen Zügen zu handeln, aus der Nähe lassen sich aufeinandergetürmte Golftaschen ausmachen, die ähnlich im Sportfachgeschäft präsentiert sein könnten.
»Thunderbirds« (2006) heißt die fünfteilige Arbeit aus Autorückspiegeln, an denen Vogelschwänzen und Federschmuck nachempfundene Gebilde aus Kunststoff und Leder befestigt sind. Der Titel bezieht sich einerseits auf den amerikanischen Automobilklassiker »Ford Thunderbird« und beschreibt andererseits einen Tiergeist in Form eines Riesenvogels aus den Mythen der nordamerikanischen Indianer.
Am Ende der Ausstellung spricht Brian Jungen mit einer selbstgebauten Destille auf einem modernen dreirädrigen Kinderwagenuntergestell auf ironische Weise das Thema Alkohol an: »Portable still« (2005).Die Ambivalenz, die in allen Werken mitschwingt, ist kennzeichnend für Brian Jungens Arbeitsweise: Im Kern seines künstlerischen Ausdrucks nimmt er durchweg eine kritische Auseinadersetzung mit indianischer Tradition und westlichem Wertesystem vor, enthält sich allerdings jeglicher Bewertung. Diese erfolgt allein von Seiten des Betrachters.
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