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Sprengel MuseumKurt Schwitters Platz
30169 Hannover
Tel. 0511 - 168 438 75; Fax 0511 - 168 450 93
Di 10 - 20 Uhr, Mi bis So 10 - 18 Uhr, Mo geschlossen
www.sprengel-museum.de
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09.12.2001 - 10.03.2002
"Der stärkste Ausdruck unserer Tage"Neue Sachlichkeit in Hannover
"Der stärkste Ausdruck unserer Tage": mit diesen Worten charakterisierte Grethe Jürgens 1932 jene gegenstandsbezogenen Bilder, die seit Mitte der 1920er Jahre in Hannover entstanden. Mehrere um 1900 geborene Künstlerinnen und Künstler fanden sich damals in der Provinzhauptstadt zu einem lockeren Arbeitsverbund zusammen, darunter Friedrich Busack, Grethe Jürgens, Hans Mertens, Gerta Overbeck, Karl Rüter, ErnstThoms und Erich Wegner. Die letzte umfassende Ausstellung fand vor mehr als einem Vierteljahrhundert im Kunstverein Hannover statt. Dies allein wäre Anlaß genug, aus der Sicht des 21. Jahrhunderts einen frischen Blick auf die Hauptwerke zu werfen.Hinzu kommt, dass die Besonderheiten der hannoverschen Szene bislang nur unzureichend gewürdigt worden sind. Der Weg vom Nach-Expressionismus der frühen 20er Jahre zur kühlen, sachbezogenen Darstellung verläuft hier nämlich dezidiert anders als in den neusachlichen Zentren München, Karlsruhe, Köln, Berlin und Dresden.
Die kunstgeschichtliche Forschung der letzten Jahre hat ein vielfältig differenziertes Bild der Malerei der Neuen Sachlichkeit entworfen, das zu einer Neubewertung dieses prägenden Stils der Weimarer Republik geführt hat, gerade auch hinsichtlich der Beziehung der Malerei der Neuen Sachlichkeit zur Malerei im Nationalsozialismus. Es drängt sich daher auf, die Hannoveraner Künstler, die bislang fast ausschließlich aus lokaler Perspektive betrachtet Wurden, endlich einma! in breiterem Zusammenhang und auf der Höhe des Forschungsstandes zu präsentieren. Die Ausstellung wird ca. 300 Ölbilder und Arbeiten auf Papier miteinander konfrontieren: Jürgens, Mertens und Thoms mit Schad und Kanoldt, Wegner mit Radziwili und Grosz, Rüter mit Lenk und Wissel, Overbeck und Busack mit Dix, etc.
Die Gliederung verschränkt Themen - Selbstbildnis, Porträt, Gesellschaft, Stilleben, (Stadt) Landschaft - und Chronologie, um die Spezifika der hannoverschen Vertreter hervortreten zu lassen. Einen besonderen Erkenntnisgewinn versprechen die zahlreichen Kollegen-Bildnisse der 1920er Jahre, weil hier der neue, sachliche Blick in doppelter Weise thematisiert wird.
Neben den vertrauten Werken wird die Ausstellung auch unbekannte Arbeiten präsentieren, die das Sprengel Museum Hannover kürzlich erworben oder erhalten hat. Hinzu kommen selten oder noch nie gezeigte Bilder von mehr als 50 Privatbesitzern. Während die Bildvergleiche den einzigartigen Charakter der Neuen Sachlichkeit in Hannover - wie die betont unprätentiöse, teilweise fast ungelenk er-scheinende Wirklichkeitswiedergabe gezielt anschaulich machen, bietet der Katalog (neben der Ausstellungsdokumentation) ausführliche Recherchen zum kulturgeschichtlichen und kunsttheoretischen Kontext und Essays namhafter Experten, die neue Zugänge zum komplexen Phänomen ermöglichen.
Zu den Anliegen der Ausstellung gehört in diesem Zusammenhang auch, den bequemen Mythos von der "Wasserscheide 1933" einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Der Stil der Neuen Sachlichkeit galt 1933 in Hannover und anderswo nicht zwangsläufig als "entartet", sondern wurde mit Aplomb als "Neue Deutsche Romantik" gefeiert. Nicht nur Maler aus dem Umfeld der Hannoveraner Neu-sachlichen wie Adolf Wissel und Bernhard Dörries reüssierten in den 30er Jahren, auch andere Vertreter waren in Ausstellungen während des Nationalsozialismus - Thoms und Rüter sogar auf der berüchtigten "Großen Deutschen Kunstausstellung" in München - vertreten. Zu fragen ist mithin: Worin bestehen Gemeinsamkeiten von neusachlicher Malerei und der Malerei im Nationalsozialismus, und worin liegen die Unterschiede? Diese Fragen sind in Bezug auf die Hannoveraner Vertreter des Stils bislang nicht gestellt oder sogar ausgeblendet worden. Es gilt, den historischen und kulturellen Rahmen für ein neues Verständnis der Bilder zu nutzen.