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Sprengel Museum

Kurt Schwitters Platz
30169 Hannover
Tel 0511 - 168 38 75; Fax 0511 - 168 50 93
Di 10 - 20 Uhr, Mi bis So 10 - 18 Uhr, Mo geschlossen
aktuelle Ausstellungen / current exhibitions

 

 

21.01. - 09.05.2004

Interventionen 34

Peter Rösel

Tom Sawyer, der Teufel und seine Großmutter

Peter Rösels Bilder und Objekte erschließen ungewohnte Perspektiven auf scheinbar vertraute Dinge. Überraschende Materialwahl und deren Kombinationen provozieren eine äußerst genaue Wahrnehmung und eröffnen schlagartig vielfältige Assoziationsfelder. Dabei lässt der Künstler, wie er in einem Interview 2000 bemerkte, "die Konnotationen der Stoffe gerne richtig kollidieren". In den 1990er Jahren malte er Landschaften auf weggeworfene Getränkedosen und nähte exotische Zimmerpflanzen aus deutschen Polizeiuniformen. Insbesondere die auf leere Farbkanister gemalten Ansichten archäologischer Stätten oder seine jüngst entstandenen "Fata Morgana"-Bilder verweisen auf den Zwischenbereich von real Sichtbarem und Verborgenem, von fassbaren und flüchtigen Momenten.

Der Titel von Rösels Intervention auf unserem Museumsplatz führt in die Welt von Kindheit und Märchen, von Abenteuerlust und Phantasie, lässt Wünsche und Ängste wach werden und an den Widerstreit zwischen Gut und Böse denken. Das grundlegende Interesse des in Berlin lebenden Künstlers (geb. 1966) zielt dabei auf diese vom Menschen geschaffenen Konstruktionen. Ein Beispiel: Die Idee, dass der Teufel eine Großmutter hat, legitimiert seine satanische Existenz. Denn wo eine Großmutter ist, da muß auch ein Enkel sein. Tom Sawyer, Protagonist des Jugendbuch-Klassikers von Mark Twain, verkörpert den herzensguten Jungen, der es faustdick hinter den Ohren hat und ein gefürchteter Pirat werden will. Eine Episode erzählt, wie er eines Tages von seiner Tante verdonnert wird, den Gartenzaun zu streichen. Mißmutig schwingt er den Pinsel, bis er eine grandiose Eingebung hat. Als Toms Kameraden ihn ob der Fron verspotten, gibt er vor, es bereite ihm außerordentliche Freude, den Zaun zu streichen, was immerhin nicht jeder Junge dürfe und könne. Seine Taktik geht auf: den Freunden erscheint die Arbeit so begehrenswert, dass sie geradezu betteln, sie an seiner Stelle ausführen zu dürfen. Freiwillig verrichtet wird die Arbeit zum Spiel.

Für "Tom Saywer und seine Großmutter" hat der Künstler drei miteinander in Beziehung stehende Werke kombiniert. Auf dem Fußboden ist ein aus Jägerzaunlatten gebauter Kreis aufgestellt, der annähernd die gesamte Breite des asymmetrischen Raumes einnimmt und eine Art Zentrum markiert. Der Zaun scheint aus dem Grund heraus zu wachsen oder darin zu versinken, da die gekreuzten Pfähle direkt auf dem Kopfsteinpflaster aufliegen, und ihre Höhe sich zu den beiden Durchgängen hin jeweils sukzessive verringert. Je kürzer sie sind, desto weniger erinnern sie an den genormten, mit dem Klischee der spießiger Schrebergarten-Idylle verbundenen Jägerzaun.

Innerhalb der Eingrenzung ist eine Vitrine platziert, in der aus erotischen Zeitschriftenseiten gebastelte Papierschiffchen auf der Oberfläche eines blauen Plastiksacks treiben. Ein zur Hälfte in den Wogen versunkenes Boot lässt an die ðgestrandetenÐ Schiffe in Wolfgang Laibs Installation unmittelbar oberhalb des Museumsplatzes denken. Wieder treffen Realität und Klischeevorstellung, spielerische Offenheit und erstarrte Posen unmittelbar aufeinander. Wie bei den Collagen von Kurt Schwitters, in die häufig beziehungsreiche Wortfragmente eingefügt sind, ist auf einem der gefalteten Schiffchen der Schriftzug "Brig" sichtbar geblieben. Das Szenario ruft eine komplexe Gegenwelt aus exotischen (Fernweh-) Träumen und Sehnsüchten auf, die im schützenden wie ausgrenzenden "privaten"Innenraum verankert ist und gleichzeitig imaginär aus ihm herausführt. Eine archaisch anmutende Figur, deren kantige Form und Bemalung auf die massiven Betonwände des Platzes reagiert, steht als Antipode außerhalb des hölzernen Runds frei im Raum. Ein handelt sich um ein Werk der sogenannten "Street Art", das Rösel auf seinen Streifzügen entdeckt und detailgetreu - wenn auch mit anderen Materialien - kopiert hat. Der wie eine erhobene Peitsche nach oben ragende "Stacheldraht" kontrastiert aggressiv den niedrigen, "gemütlich"wirkenden Jägerzaun. Rösel hat seine Figur in direkter Sichtachse zur surrealistischen Skulptur "In den Straßen von Athen" von Max Ernst mit vergleichbar bannendem Blick positioniert. So nimmt seine Arbeit an mehreren Stellen Kontakt auf zu den Räumen, die sie umgeben, und zugleich initiiert der Künstler ein imaginäres Gespräch mit anderen Kunstwerken des Museums.

Die Reihe Interventionen wird unterstützt von der Sparkasse Hannover.

Künstlergespräch, Dienstag 23. März, 18.30 Uhr

 

 

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