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Haus der Kulturen der Welt

John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
Tel. 030-397 87-0 oder -175
info@hkw.de
Di - So 14- 21 Uhr
http://www.hkw.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

   

 

 

09. - 30.10.2001

Plattform1_Documenta11


Democracy Unrealized

(Demokratie als unvollendeter Prozess)


Die Documenta11 besteht aus fünf Plattformen. Die ersten vier Plattformen diskutieren spezifische Themenkomplexe an jeweils unterschiedlichen Orten in Kooperation mit verschiedenen Partnern. Die Ausstellung in Kassel bildet die fünfte Plattform. Zu jeder Plattform erscheint im Laufe des nächsten Jahres eine Publikation im Hatje Cantz Verlag, Stuttgart.

Plattform1: Democracy Unrealized
(Demokratie als unvollendeter Prozess)
Wien 15. 3. ­ 20. 4. 2001 und Berlin 9. ­ 30. 10. 2001

Plattform2: Experiments with Truth: Transitional Justice
and the Processes of Truth and Reconciliation
(Experimente mit der Wahrheit: Rechtssysteme im Wandel
und die Prozesse der Wahrheitsfindung und Versöhnung)
Neu-Delhi 7. ­ 21. 5. 2001

Plattform3: Créolité and Creolization
(Créolité und Kreolisierung)
St. Lucia Januar 2002

Plattform4: Under Siege: Four African Cities, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos
(Unter Belagerung: Vier afrikanische Städte, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos)
Lagos März 2002

Plattform5: Exhibition Documenta11
(Ausstellung Documenta11)
Kassel 8. 6. ­ 15. 9. 2002

Die Plattform1: Democracy Unrealized in Wien war der Auftakt der Documenta11. Videoaufzeichnungen der Wiener Vorträge sind bereits vollständig im Internet unter www.documenta.de abrufbar. Die Zusammenarbeit der Documenta11 mit dem Haus der Kulturen der Welt und dem DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, setzt die Plattform1 in Berlin fort.

Plattform1_Documenta11
Democracy Unrealized
(Demokratie als unvollendeter Prozess)

Zwischen dem 9. und dem 30. Oktober werden die Documenta11 und das Haus der Kulturen der Welt gemeinsam mit dem DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, in Berlin den zweiten Teil des internationalen Symposiums Democracy Unrealized: Demokratie als unvollendeter Prozess eröffnen. Das Symposium ist Teil der ersten in einer Reihe von fünf Plattformen, die sich aus öffentlichen Debatten, Symposien, Filmpräsentationen, Vorträgen und der Ausstellung in Kassel zusammensetzen und die den Gesamtrahmen der Documenta11 ausmachen.

Zu den Plattformen
Das aktuelle Symposium setzt unsere einjährige Reihe öffentlicher Diskussionen und informeller Vorträge, die in sechs ausgewählten Städten der Welt ausgetragen wird, fort. Unser Hauptanliegen und unser Interesse besteht im Austausch zwischen dem künstlerischen Bereich, zu dem die documenta gehört, und anderen Bereichen und Orten. Der erste Teil von Democracy Unrealized: Demokratie als unvollendeter Prozess, der in Wien vom 15. März bis zum 23. April 2001 stattfand, bestand aus Vorträgen von über 20 internationalen Gästen. Die zweite Plattform, Experimente mit der Wahrheit: Rechtssysteme im Wandel und die Prozesse der Wahrheit und Versöhnung, die in Neu-Delhi, Indien, vom 7. bis 21. Mai 2001 stattfand, gliederte sich in zwei Teile: Die Konferenz versammelte Vorträge und Debatten von etwa 30 Teilnehmern, darunter Historiker, Rechtswissenschaftler, Filmemacher, Künstler, Psychoanalytiker, Kuratoren, Anthropologen, Kunsthistoriker und Theatermacher. Ein Film- und Videoprogramm mit 35 Filmen und Videos von 26 Regisseuren ergänzte die Konferenz. Beide Plattformen in Wien und Neu-Delhi sind vollständig auf unserer Webseite dokumentiert: www.documenta.de

Der intellektuelle Ort der Documenta11 ist einer der Debatte und der Kontroverse, wo theoretische Ideen mit der Praxis gekreuzt werden. Intellektuell bestimmt und methodologisch wagnisreich soll die Ausstellung, die am 8. Juni 2002 eröffnet, als Kulmination der Plattformen die sie bestimmenden komplexen Überschneidungen verdeutlichen.

Die Plattformen können daher als Konstellationen verstanden werden, die eine kritische Betrachtung von Prozessen in einer Reihe von Wissensproduktionen eröffnen. Diese Plattformen üben jedoch zugleich eine zweite Rolle aus, indem sie der Documenta11 die Möglichkeit geben, die Reichweite ihres intellektuellen Interesses und ihrer Forschungen transparent zu machen. So ist die konzeptuelle Ausrichtung der Ausstellung auch ausdrücklich interdisziplinär und verbindet eine große Spanne von Wissenschaftlern, Philosophen, Künstlern und Filmemachern, Institutionen, Städten und Besuchern.

Democracy Unrealized
(Demokratie als unvollendeter Prozess)

Hintergrund

Da die Ideologie einer "neuen Weltordnung" an Macht verliert, während die von Weltwirtschaft und globaler Politik vorgegebenen Werte zunehmend an Bedeutung gewinnen, stellen sich zu Beginn des neuen Millenniums eine Vielzahl drängender Fragen zur Zukunft der Demokratie.
Obwohl sich Intellektuelle, Institutionen und Denker unterschiedlichster Richtungen bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert mit diesen Fragen beschäftigen, hat doch erst das Ende des 20. Jahrhunderts, verbunden mit der Auflösung des Sowjet-Imperiums, die volle Tragweite der politischen Zersplitterung deutlich sichtbar gemacht und das Problem der Demokratie in den Vordergrund treten lassen.
Die Infragestellung der ideologisch begründeten Hegemonie der Demokratie wurde von zahlreichen Faktoren befördert, zu denen in erster Linie folgende zählen: die Normen und der allgegenwärtige Einfluss des globalen Kapitalismus, der weltweit jede Facette des kulturellen und politischen Lebens bestimmt; die Zunahme aller erdenklichen Formen von Nationalismen und Fundamentalismen als Antwort auf den Ansturm des globalisierten Neoliberalismus; die Erweiterung des Begriffs der Staatsbürgerschaft in Folge von umfangreichen Flucht- und Einwanderungsbewegungen, die ehemals gefestigten Gesellschaften heute ein vollständig neues Gesicht verleihen; und schließlich die Erscheinungsform des postkolonialen Staates, der sich mit dem unbewältigten Erbe von Imperialismus und Kolonialismus auseinandersetzen muss.
Im Strom all dieser Umwälzungen, denen für die Beschreibung von Moderne in unserer Zeit und die Ausbildung von (ethnischer oder nationaler, individueller oder kollektiver) Subjektivität eine entscheidende Bedeutung zukommt, ist es von großer Dringlichkeit, genau zu bestimmen, in welchem Umfang aktuelle Tendenzen demokratischer Herrschaft zum traditionellen Erbe westlicher Demokratievorstellungen gehören oder sich auf sie beziehen.
Da jedoch nicht zu bestreiten ist, dass die Demokratie heute weltweit vielfältige und flexible Formen angenommen hat, stellt sich die Frage, ob sich der Begriff von Demokratie auch weiterhin ausschließlich auf die philosophischen Fundamente westlicher Erkenntnistheorie stützen sollte.
Auf welche Weise aber lässt sich nun heute Demokratie als Prinzip und politische Praxis sowohl einer Nation als auch den einzelnen BürgerInnen zugänglich machen?

Auch wenn "Demokratie" zahlreichen Formen partizipatorischer Herrschaft und vielen politischen Systemen in den letzten fünfzig Jahren als Schlüsselbegriff gedient hat, so bleibt sie doch in weiten Teilen ein sich fortwährend erneuernder Entwurf.
Der Begriff unvollendet im Titel unseres Projektes ist ein Versuch, die vielfältigen Wandlungen zu erläutern, denen die Ethik der Demokratie und ihre institutionellen Formen unterworfen waren und noch immer sindæWandlungen, welche die Demokratie zu einem im Grunde nicht erreichbaren Ziel werden lassen.

Als Beispiel hierfür sei an den Missbrauch der demokratischen Logik durch Rechtsextremisten und nationalistische Parteien in Europa, durch totalitäre Regime in den ehemals kommunistischen Ländern, durch Diktaturen in Afrika, Asien und Lateinamerika erinnert. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums erfordert die Aneignung der demokratischen Ethik, wie sie die Reformbewegung im Iran vor kurzem vollzogen hat, ein neuerliches Überprüfen des Entwurfes von Demokratie als eines grundsätzlich säkularen Konzepts. Auch die Geschichte der Unabhängigkeitsbewegungen und der Entkolonialisierung in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten beweist die außerordentliche Bedeutung, welche der Idee demokratischer Politik mittlerweile zukommt. Dies hat in jenen Gesellschaften, in denen die Demokratie und ihre Institutionen zum kulturellen Erbe der einstigen Kolonialmacht gehören, nicht nur zu strukturellen Veränderungen, sondern auch zu Verschiebungen innerhalb der gesamten politischen Kultur geführt. Diese Einflüsse verstärkten sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR am Ende der achtziger Jahre und dem daraus folgenden, scheinbar naturgegebenen Zusammenhang von freiheitlicher Demokratie und globalem Kapitalismus.

Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hat sich im Westen die eigentliche Struktur eines folgenreichen ideologischen Diskurses herauskristallisiert, welcher die enge Verbundenheit dieser beiden Komponenten hervorhebt. In diesem Demokratie-Modell haben die individuellen Rechte Vorrang gegenüber jeder Form von kollektiver Aktivität. Nicht nur in den sogenannten Entwicklungsländern hat die Suche nach einem anderen Paradigma als Alternative zu diesem System eine nüchterne Neueinschätzung hervorgerufen. Auch AktivistInnen, Denker, KünstlerInnen und Kulturschaffende sowohl mit westlichem als auch mit nicht-westlichem Hintergrund waren bemüht, diese Thesen in Frage zu stellen und zu bekämpfen. Zudem wurden völlig neue Einsatzgebiete und mögliche Formen demokratischen Widerstands formuliert, in deren Zentrum eine Interpolation der traditionellen westeuropäischen Demokratie-Auffassung sowie die Aneignung ihrer rhetorischen Techniken im Dienste anderer Handlungsbereiche stehen.
So sind Begriffe wie "Repräsentation", "Hegemonie" oder "Partizipation" von verschiedenen Gruppierungen in dem Bemühen kultiviert worden, neue Formen von Widerstand gegen die alles durchdringende neoliberale Ideologie und den wachsenden Rechtsradikalismus zu entwickeln, wie sie den Spätkapitalismus der westlichen Welt kennzeichnen.

Um der komplexen Thematik der Demokratie-Debatte im Rahmen unseres Projektes gerecht zu werden, sind folgende Aspekte besonders zu berücksichtigen.

 

1. Überlegungen zum Begriff unvollendet

Im Zentrum dieses Projektes steht die Frage, wie sich liberale Demokratie nach dem Kalten Krieg präsentiert: nicht nur als das beste aller Systeme, sondern als ein vollständig verwirklichtes und im wesentlichen abgeschlossenes Vorhaben.
Sofern nach dem Ende des Kalten Krieges die Demokratie aus dieser recht siegesgewissen Perspektive überhaupt als ein unvollendetes Vorhaben beschrieben werden sollte, so wird davon ausgegangen, dass keinerlei strukturelle Veränderungen vorstellbar oder notwendig seien. Man setzt voraus, dass die Demokratie in ihren entscheidenden Grundzügen vollendet sei und es in Zukunft lediglich kleinerer technischer Korrekturen und geringfügiger Reparaturen bedürfe.
Die Logik dieser Argumentation ergibt sich aus der technokratischen Interpretation des Terminus unvollendet als Fehlen einer Feineinstellung demokratischer Verfahrensweisen und entsprechender Vorgänge, welche im wesentlichen bereits abgeschlossen sind. Bislang sehen sich somit die großen westlichen Demokratien bestenfalls als "unvollendete Verwirklichungen" jener Gleichheit und Gerechtigkeit, auf denen die moderne Demokratie basiert. Eine solche Betrachtungsweise klammert die Grenzen, Fehler, Sackgassen und Probleme aus, die in den Prinzipien selbst begründet liegen. Im Gegenzug zu dieser Annahme gehen wir von dem Gedanken aus, dass Demokratie als unvollendeter Prozess eine Möglichkeit bietet, das aufzuzeigen, was die liberale Demokratie verspricht, aber nicht halten kann. Im Zentrum steht dabei das Potenzial zur Überarbeitung, Umwertung, Ausweitung und kreativen Umformung der Demokratie, das ihr ermöglicht, mit dem Globalisierungsprozess des 21. Jahrhunderts Schritt zu halten ­ einer Demokratie, die als allzeit offenes, grundsätzlich nicht zu vollendendes Projekt definiert wird, das prinzipiell hinter seinen Idealen zurückbleibt.

 

2. Das Ende der Geschichte, Junge Demokratien, Instabile Demokratien

Vor dem Hintergrund des Niedergangs der Sowjetmacht zu Beginn der neunziger Jahre entwickelte Francis Fukuyama in The End of History / Das Ende der Geschichte (1989/92) eine These, die zu einer Doktrin der Ära nach dem Kalten Krieg werden sollte. Sie besagt, dass die liberale Demokratie an das System des freien Marktes gebunden sei. Nach Ansicht Fukuyamas bewies das Ende des Kommunismus, dass kein anderes System einer liberalen Demokratie gleichkommen, an ihre Stelle treten oder sie übertreffen könne. Dies brachte ihn zu der Behauptung, die liberalen Demokratien bezeichnen "das Ende der Geschichte", nicht im Sinne eines Stillstands alltäglicher Geschehnisse und Entwicklungen, sondern insofern, als in Zukunft keine strukturelle Veränderung über den Rahmen der gegenwärtigen liberalen Demokratie hinaus mehr möglich sei. Keine lebensfähige Alternative zeichne sich heute am Horizont ab. Die an die globale Marktwirtschaft gebundene liberale Demokratie stelle einen Endzustand der Entwicklung allen politischen Lebens dar, "den Schlusspunkt der ideologischen Evolution der Menschheit", wie es der Autor nennt. Ein Teil von Fukuyamas These basiert nicht auf einer Analyse rationaler Faktoren oder ökonomischer Gegebenheiten, sondern auf einer Herr/Knecht-Metapher. In seiner Darstellung entwickelt sich liberale Demokratie aus der Idee von der Anerkennung des Herrn (Aristokratie, Bourgeoisie) zu einer Form der universalen Anerkennung.
Doch ist diese für die BürgerInnen zeitgenössischer liberaler Demokratien gültige Anerkennung auch allgemein befriedigend? Die weitere Zukunft der liberalen Demokratien und der möglicherweise eines Tages entstehenden Alternativen hängt vor allem von der Beantwortung dieser Frage ab.

Es mag sein, dass wir schon heute an einen Punkt gelangt sind, da solche Alternativen unserer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Die vielfältigen Erscheinungsformen demokratischer Prozesse, welche die jungen Staaten Osteuropas überschwemmt haben, der Kampf um die Anpassung der Demokratie an die theokratischen, autoritären politischen Institutionen im heutigen Iran, oder im Falle Afrikas die völlige Aussichtslosigkeit der an postkoloniale afrikanische Regime herangetragenen Forderung, die ehemals kolonialstaatlichen Institutionen zu reformieren, stehen für die unterschiedlichen Ausprägungen demokratischer Regierungsformen, welche mit den im Westen propagierten Prinzipien unvereinbar sind. Ähnlich dringlich erscheint auch die korrekte Evaluierung der Dynamik dessen, was sich als Dialektik von Fundamentalismus und Liberalismus zum Beispiel in Algerien, in der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion herausbildet. In diese Reihe gehören ebenso die Gewalt im ehemaligen Jugoslawien wie die chinesische "ein Land/zwei Systeme"-Politik.
Was man von diesen Demokratien auch halten mag, ihre Widersprüchlichkeit verlangt nach einer inneren als auch äußeren Analyse der Demokratie-mit dem Ziel, ein einheitliches Bild vom System des gegenwärtig stattfindenden globalen Wandels zu gewinnen.

 

3. Toleranz

Wenn man sich mit Fragen der Toleranz beschäftigt, so kann man deutlich die Konstruktion und die Ausgrenzung des Anderen und Andersartigen, die Forderungen nach Assimilation der ImmigrantInnen und AußenseiterInnen und die Ablehnung von abweichenden Lebensformen und Denkmustern beobachten. In all diesen Fällen zeigen sich die Grenzen der Toleranz liberaler Demokratien. Denn Toleranz bedeutet hier das Ausgehen von einem vorgegebenen Wertekanon, dem sich zu unterwerfen von Anderen erwartet wird, und keineswegs ethisch motivierte Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Differenz, wechselseitigem Austausch oder Wandel. Welche Auswirkungen aber hat der Begriff der Toleranz in unserer heutigen globalen Gesellschaft?

Im Rahmen dieser Diskussionen über die ethischen und erkenntnistheoretischen Schwachstellen des demokratischen Systems sehen wir uns mit Formen von Lebenserfahrung und Wissen konfrontiert, die anzuerkennen oder denen gerecht zu werden der gängige Toleranzbegriff außerstande ist. Wir stoßen auf die Grenzen, die diesem Toleranzbegriff bei der Begegnung westlicher Demokratien mit neuen Kategorien von StaatsbürgerInnen gesetzt sind: mit Wirtschaftsflüchtlingen, politischen Flüchtlingen, Asylsuchenden, "Sans Papiers" und anderen Randgruppen, deren Forderung nach Anerkennung, Aufenthaltsrecht und Teilnahme zunehmend eben diese Grenzen aufgezeigt hat ­ die Grenzen der staatsbürgerlichen Rechte im Unterschied zur Universalität der Menschenrechte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, noch einmal von Neuem zu beginnen und zu untersuchen, auf welche Weise die Erzählungen und Zeugnisse marginalisierter Gruppen, insbesondere ihr Kampf gegen das Gefühl des Ausgeschlossenseins, Druck auf die Demokratien ausübt, ihre ethischen und erkenntnistheoretischen Grenzen auszuloten, und sie gelegentlich sogar dazu zwingt, sich zu öffnen und neue Räume und Vorbedingungen für Andersartigkeit zu schaffen.

 

4. Arbeitsethik

Die Behauptung, Demokratie könne nur dann verwirklicht werden und funktionieren, wenn ihr Fundament, die Arbeitsethik, fest in der Gesellschaft verankert sei, wird gern als Argument bei der Diskussion über die Bedingungen der liberalen Demokratien des Westens und Japans eingesetzt. In den Vereinigten Staaten wird sie auf die protestantische Kultur zurückgeführt. Auch gegen Länder, die mit der Überwindung des Kolonialismus und um die Entwicklung alternativer Regierungsformen ringen, wird das Argument der Arbeitsethik gleichermaßen ins Feld geführt. Wird die Arbeitsethik hier zum Instrument der Bekehrung? Welche Erfahrungen widerlegen die Behauptung, dass die Demokratie sich nur wirksam schützen kann, indem sie die Arbeitsethik verinnerlicht und instrumentalisiert?

 

5. Entwicklungsethik, Globalisierung und Demokratie

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist "Entwicklung" ein Schlagwort der Modernisierung und Synonym für den großen Sprung nach vorn in Richtung Unterstützungswürdigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit. "Entwicklung" lautete auch die Direktive einer Reihe globaler Institutionen, die das Ziel verfolgten, demokratische Gesellschaften nach den Vorgaben und im Rahmen des kapitalistischen Modells zu erschaffen. Indem sie der Idee der Demokratie ein ökonomisches Korsett anlegten, haben entwicklungspolitische Institutionen wie die Weltbank und der IWF in der Tat vielerorts den Prozess gesellschaftlicher Veränderung massiv behindert. Über die ethischen Maßstäbe einer solchen Globalisierung wurde innerhalb jener Länder, die es in diesem Sinne "zu entwickeln" galt, erbittert gestritten. Sie selbst boten Alternativen zur Polarisierung von Tradition und Moderne an und plädierten für eine enge Verknüpfung von wirtschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlichem Fortschritt.

Okwui Enwezor

 

 

9. 10. 2001
19.00 Begrüßung
Dr. Hans-Georg Knopp
, Generalsekretär, Haus der Kulturen der Welt
Okwui Enwezor, Künstlerischer Leiter Documenta11
20.00 Homi K. Bhabha, Professor für englische und amerikanische Sprach- und Literaturwissenschaften und African American Studies an der Harvard University, Cambridge, Massachusetts

 

16. 10. 2001
20.00 Wole Soyinka
, Schriftsteller, Theaterregisseur, Professor für Vergleichende Literaturwissenschaften an der Emory University, Atlanta, Georgia, Nobelpreisträger (1986) für Literatur

18. 10. 2001
20.00 Ernesto Laclau
, Professor für Politikwissenschaften am Institut für Theoretische Studien in den Geistes- und Sozialwissenschaften, University of Essex, Colchester

27. 10. 2001
21.00 Zhiyuan Cui
, außerordentlicher Professor für Ökonomie an der Universität Peking und Gastprofessor am Ostasien-Institut der Universität Singapur (2001-2002)

30. 10. 2001
20.00 Harbans Mukhia
, Professor für Geschichte, Rektor der Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi

Die Konferenzsprache ist englisch, Simultanübersetzungen werden angeboten. Die Anzahl der Sitzplätze ist begrenzt.
Programmänderungen vorbehalten.

 

Homi K. Bhabha
Homi Bhabha wurde in Indien geboren und studierte an der University of Bombay und der Oxford University, wo er 1990 promovierte. Er ist Professor für englische und amerikanische Sprach- und Literaturwissenschaften und African American Studies an der Harvard University, Cambridge, Massachusetts. Zuvor war er Professor für englische Sprach- und Literaturwissenschaften, Kunstgeschichte und südasiatische Sprachen und Kulturen an der University of Chicago, Illinois. Zu seinen Veröffentlichungen gehören The Location of Culture (1994) (auf Deutsch 2000 erschienen als Die Verortung der Kultur), Nation and Narration (1990), Negotiating the Power of Art to Transform Lives (1996) und eine Sonderausgabe der Zeitschrift Critical Inquiry mit dem Thema Front Lines / Border Posts (Frühjahr 1997). Bhabha ist regelmäßiger Korrespondent der Zeitschrift Artforum und arbeitet zur Zeit an seinem nächsten Buch mit dem Titel A Measure of Dwelling: A History of Cosmopolitanism.

 

Zhiyuan Cui
Zuhiyuan Cui wurde in China geboren und lehrt zur Zeit als außerordentlicher Professor für Ökonomie an der Universität Peking und als Gastprofessor am Ostasien-Institut der Universität Singapur (2001-2002). Zuvor war er Assistenzprofessor für politische Wissenschaften am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, Massachusetts. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Politikvergleich zwischen China und Ostasien sowie in der allgemeinen politischen Ökonomie und politischen Philosophie. Er verfasste (gemeinsam mit Adam Przeworski) das Buch Sustainable Democracy (1993) und gab einen Sammelband der Schriften Roberto Mangabeira Ungers unter dem Titel Politics, The Central Texts: Theory against Fate (1997) heraus. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze zur Transformation in den früheren sozialistischen Ländern Osteuropas und arbeitet zur Zeit an dem Buch Wrestling with the Invisible Hand, das bei der Harvard University Press erscheinen wird.

 

Nawal El Saadawi
El Saadawi wurde in Kafr Tahla, Ägypten, geboren und lebt als Schriftstellerin, feministische Aktivistin und Psychiaterin in Kairo. Nach der Publikation ihres Buches Women and Sex im Jahr 1972 musste sie von ihren Stellen als Direktorin der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Gesundheitsministerium, als Chefredakteurin eines Gesundheitsmagazins und als stellvertretende Generalsekretärin der Ärztlichen Vereinigung Ägyptens zurücktreten. Von 1973 bis 1976 forschte sie zum Thema der Neurosen bei Frauen an der medizinischen Fakultät der Ain Shams University, Kairo, und von 1979 bis 1980 war sie Beraterin der Vereinten Nationen für das Frauenprogramm in Afrika und dem Mittleren Osten. Während der Regierungszeit von Sadat wurde sie 1981 inhaftiert und erst nach Sadats Tod im Jahre 1982 aus der Haft entlassen. Im gleichen Jahr gründete sie die Arab Women's Solidarity Association (Solidargemeinschaft der arabischen Frauen, AWSA), eine internationale Organisation mit dem Ziel, den "Schleier im Kopf der arabischen Frauen" zu lüften. Im Jahr 1985 wurde diese Organisation als arabische NGO anerkannt und ihr Beraterstatus des Wirtschafts- und Sozialgremiums der Vereinten Nationen verliehen. El Saadawi veröffentliche über 24 Bücher auf Arabisch von denen viele weltweit übersetzt wurden. Ihr jüngstes Buch, der Nawal El Saadawi-Reader (1997), ist eine Sammlung von Aufsätzen, die sie seit der Veröffentlichung ihres Buches über Frauen in der arabischen Welt im Jahr 1980, The Hidden Face of Eve, geschrieben hat.

 

Ernesto Laclau
Ernesto Laclau wurde in Argentinien geboren und promovierte an der University of Essex, Colchester, an der er als Professor für Politikwissenschaften am Institut für Theoretische Studien in den Geistes- und Sozialwissenschaften unterrichtet. Er war Gastprofessor an den Universitäten in Toronto (1978), Chicago (1984) und York, Kanada (1985) sowie an diversen lateinamerikanischen Universitäten. Laclau war Fellow am Woodrow Wilson Center in Washington, D.C. und erhielt 1989/90 ein Guggenheim Fellowship. Seine aktuellen Forschungsthemen umfassen Theorievergleich, die diskursive Konstruktion von Antagonismen und das Verhältnis zwischen Dekonstruktion und Politik. Er ist Autor bzw. Ko-Autor der Bücher Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics (1985), New Reflections on the Revolution of our Time (1990), The Making of Political Identities (1994), Emancipations (1996) und zuletzt Contingency, Hegemony, Universality. Contemporary Dialogues on the Left (2000) mit Judith Butler und Slavoj Zizek.

 

Harbans Mukhia
Harbans Mukhia, geboren in Indien, ist Professor für Geschichte und Rektor der Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi. Mukhia war 1971 Fellow am Indian Institute of Advanced Study in Simla, Indien, Homi Bhabha Fellow im Jahr 1979/80, UGC National Lecturer in den Jahren 1988 und 1995/96 sowie Senior Fellow am International Institute of Asian Studies in Leiden, Niederlande im Jahr 1997. Er war 1993 Gastprofessor an der British Academy in London und ist seit 1980 der Directeur d'Etude Associé, EHESS, in Paris. In früheren Jahren lag sein Arbeitsschwerpunkt auf mittelalterlicher indischer Geschichtswissenschaft und resultierte in seiner Doktorarbeit Historians and Historiography in the Reign of Akbar. In den siebziger und achtziger Jahren arbeitete Mukhia vergleichend über die theoretischen und empirischen Grundlagen des Feudalismus. Sein 1981 erschienener Aufsatz "Was there Feudalism in Indian History?", veröffentlicht im Journal of Peasant Studies, war Auslöser einer internationalen Debatte, die 1985 unter dem Titel Feudalism and Non-European Societies und im Jahr 2000 als The Feudalism Debate veröffentlicht wurde. Von 1988 bis 1990 gab er gemeinsam mit Maurice Aymard eine Übersetzung von 35 Artikeln französischer Historiker heraus, die in Indien unter dem Titel French Studies in History in zwei Bänden erschien. Weitere Veröffentlichungen sind Communalism and the Writing of Indian History (1969), Perspectives on Medieval History (1993) und Religion, Religiosity, and Communalism (1996).

 

Wole Soyinka
Wole Soyinka wurde 1934 in Nigeria geboren und ist Schriftsteller, Theaterregisseur und Professor für Vergleichende Literaturwissenschaften an der Emory University, Atlanta, Georgia. Soyinka studierte am Government College in Ibadan, Nigeria, und an der University of Leeds, an der er im Jahr 1973 promovierte. Soyinka arbeitete von 1958 bis 1959 als Dramaturg am Royal Court Theatre in London und gründete in Nigeria nach seiner Rückkehr im Jahre 1960 die Theatergruppe "The 1960 Masks" und 1964 die "Orisun Theatre Company". Im gleichen Zeitraum lehrte er Schauspiel und Literatur an den Universitäten von Ibadan, Lagos und Ife, wo er seit 1975 eine Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft innehat. Er war Gastprofessor an den Universitäten von Cambridge, Sheffield und Yale. Während des nigerianischen Bürgerkriegs plädierte Soyinka für Waffenstillstand und wurde 1967 für 22 Monate als politischer Gefangener inhaftiert. Er hat über 20 Romane, Theaterstücke und Gedichtbände veröffentlicht, darunter die Stücke The Swamp Dwellers (1963), The Trial of Brother Jero (1963), The Strong Breed (1963), The Road ( 1965), Madmen and Specialists (1971), Jero's Metamorphosis (1973), The Bacchae of Euripides (1973), Death and the King's Horseman (1975), A Play of Giants (1984) und Requiem for a Futurologist (1985). 1972 veröffentlichte er seine kontroversen Gefängniserinnerungen The Man Died: Prison Notes, die 1979 in Deutsch als Der Mann ist tot. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis erschienen sind. Zu seinen Romanen gehören The Interpreters (1965) (auf Deutsch 1983 erschienen als Die Ausleger), Season of Anomy (1973) (dt. als Jahre der Gesetzlosigkeit 1977/1981) und die autobiographischen Texte Aké ( 1981) (dt. 1986 als Aké. Jahre der Kindheit), Isara (1989) (dt. 1994 als Isara. Eine Reise rund um den Vater), und Ibadan (1994) (dt. 1998 als Ibadan, Streunerjahre. 1946-1965, Erinnerungen). Soyinkas Gedichte sind veröffentlicht in den Büchern Idanre, and Other Poems (1967), Poems from Prison (1969), A Shuttle in the Crypt (1972) und in dem epischen Gedicht Ogun Abibiman (1976). Seine literaturtheoretischen Texte erschienen unter anderem in dem Buch Myth, Literature and the African World (1975). Darüber hinaus hat sich Soyinka auch in politische Fragen eingemischt, unter anderem in Publikationen wie The Open Sore of a Continent (1996) oder The Burden of Memory, The Muse of Forgiveness (1998) (dt. 2001 als Die Last des Erinnerns). Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt Soyinka als erster Afrikaner 1986 den Nobelpreis für Literatur.

 

 

Abstracts (Auswahl)

Homi K. Bhabha
In den vergangenen dunklen Tagen war es schwierig, eine klare Abgrenzung zwischen der Wut und der Angst, hervorgerufen durch die terroristischen Angriffe, und dem dringenden Bedürfnis nach einer humaneren und historisch reflektierteren Reaktion auf die Tragödie zu ziehen. Welche Vergebung kann es nach dieser Erkenntnis geben? Die abscheulichen Bilder des Todes, der Zerstörung und der Anmaßung, die am Dienstag, dem 11. September 2001, in unsere Häuser eindrangen, haben keinen Zweifel daran gelassen, dass diese unvorstellbaren Szenen zu einer moralischen Welt gehören, die nicht die unsere ist, dass diese Taten von Leuten begangen wurden, die jeder Faser unseres Daseins fremd sind. Aber CNN hatte eine ernüchternde Geschichte zu berichten. Während sich die Schlagzeilen von einem flammenden Inferno zum nächsten überschlugen, flocht der Nachrichtenticker am unteren Rand des Bildschirms Titel von Hollywood-Filmen in die Namenslisten der Mutigen und Toten ein. Filme, die ähnliche Geschichten schon oft zuvor erzählt hatten und neue, noch nicht angelaufene Filme, die daran waren, diese von neuem zu erzählen. Was in der Woche davor noch ein Actionfilm war, hatte sich an jenem Dienstag in Kriegshandlungen verwandelt. Die gleiche Ausstattung, ein anderer Film.

Ich habe mich entschieden, mit dem globalen Genre des terroristischen Actionfilms zu beginnen, um die weitverbreiteten kulturellen Annahmen zu hinterfragen, die die tödlichen Ereignisse zu umreißen begonnen haben. Der Terrorismus jenes Dienstags sei Ausdruck eines viel tieferen "Kampfes der Kulturen", so wurde uns gesagt. Eines Abends in der Woche nach dem 11. September entwickelte Benjamin Netanjahu diese These und endete damit, Israel gleich vor der Ostküste der Vereinigten Staaten zu lokalisieren. Am nächsten Morgen bestätigte der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Wolfowitz die breite internationale Unterstützung der USA durch Nationen, die er sowohl der "zivilisierten Welt" als auch der "unzivilisierten Welt" zurechnete. Wenn wir jedoch zu CNN's Nachrichtenticker der Terroristenfilme und Spezialeffekte zurückkehren, stellen wir die Sinnlosigkeit der Versuche fest, die Ereignisse in solch einer geteilten und polarisierten zivilisatorischen Sichtweise zu umschreiben.

Jedes der unvorstellbaren Ereignisse, denen wir an jenem Dienstag an unseren Fernsehbildschirmen gefolgt sind, war zuvor wiederholt und landesweit in den Kinos ausgedacht und von gesetzestreuen Amerikanern beklatscht worden und wurde erfolgreich an andere normale Filmliebhaber in die ganze Welt exportiert. Die Entscheidung, Terror auszuüben ­ sei es im Namen Gottes oder dem eines Staates ­ ist eine politische Entscheidung und keine zivilisatorische oder kulturelle Praxis. Ironischerweise ist der "Kampf der Kulturen" ein aggressiver Diskurs, der oft von totalitären Regimes oder Terroristen gebraucht wird, um ihre schlimmsten Untaten zu rechtfertigen, um heiligen Terror auszulösen und um eine aushöhlende Psychose der Verfolgung unter unterdrückten, wehrlosen Völkern herbeizuführen. Wenn wir das Argument der Zivilisation gegen sie ins Feld führen, sprechen wir also, unbeabsichtigt vielleicht, in der zersetzenden Sprache der Tyrannen. Und wenn die amerikanische Außen- und Wirtschaftspolitik in den zivilisatorischen Teilungen von "denen" und "uns" geführt wird, dann nimmt die Nation jene falkenartigen imperialistischen Züge an, die ein weitverbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit, Entrüstung und Angst hervorrufen.

Wenn wir Terrorismus als eine organisierte politische Aktion begreifen statt als Ausdruck kultureller oder zivilisatorischer "Differenz", dann können wir diesen bekämpfen und zugleich in die Zukunft denken. Eine Zukunft, die Gemeinsamkeiten erkennt zwischen den amerikanischen Opfern und jenen Menschen in der ganzen Welt, die gezwungen sind, in Ländern zu leben, welche von Regimes und Organisationen beherrscht werden, die solch unrechtmäßige und inhumane Politiken vertreten. Nur solche Gesellschaften, die die breitest mögliche demokratische Beteiligung und den Schutz ihrer Bürger sicher stellen, sind in einer Position, die tödlich schwierigen Entscheidungen zu treffen, die "gerechte" Kriege verlangen. Die Politik des Terrors aus dem Verständnis einer demokratischen Gesellschaft statt aus der Vergeltung heraus zu konfrontieren, veranlasst uns zu einer schwachen Hoffnung für die Zukunft. Eine Hoffnung, dass wir in der Lage sein werden eine Vision der globalen Gesellschaft zu verwirklichen, getragen von zivilen Freiheiten und Menschenrechten, welche die geteilten Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten einer allgemeinen, gemeinsamen Staatsbürgerschaft mit sich bringt.

Zhiyuan Cui
Machiavelli und die Zukunft der radikalen Demokratie
J. G. A. Pocock veröffentlichte 1975 The Machiavellian Moment, seine monumentale Studie zur "atlantischen republikanischen Tradition." Die meisten Debatten, die von Pococks maßgeblichem Werk ausgelöst wurden, legten jedoch ihren Schwerpunkt entweder auf die relative Bedeutung des Liberalismus und des Republikanismus oder auf die Differenz zwischen humanistischen und juristischen Diskursprinzipien in der Neuzeit. Diese Debatten ­ trotz ihrer jeweiligen eigenen Bedeutung ­ vernachlässigten das Potential des Republikanismus als einer institutionellen Alternative zu sowohl dem Kapitalismus als auch dem Sozialismus. Ich schlage in diesem Vortrag vor, dieses Potenzial des republikanischen Denkens für unsere institutionellen Innovationen des 21. Jahrhunderts weiter zu erforschen.

 

Ernesto Laclau
Dieser Vortrag konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Demokratie und der Zusammensetzung eigenständiger populärer Identitäten. Es wird zu argumentieren sein, dass ­ im Gegensatz zu einem rein verfahrensrechtlichen Verständnis von Demokratie ­ die Konstruktion eines demokratischen Ethos wesentlich vom Auftauchen populärer Identitäten abhängt, welche um eine Gruppe basisdemokratischer Forderungen strukturiert sind. Diese Forderungen sind entlang einer Logik von Äquivalenzen organisiert und durch, wie ich sie bezeichne, "leere Signifikanten" vereinigt. Dieser Analyse folgen eine Reihe von Schlüssen bezüglich so zentraler Themen zeitgenössischer demokratischer Politik wie der Menschenrechte, ökonomischer Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit, und den Stufen demokratischer Partizipation innerhalb zunehmend heterogener werdender politischer Wahlbezirke.

Harbans Mukhia
Zu Demokratie als Einheit und Vielfalt
Auf wichtige Weise war die menschliche Geschichte der Ort wiederholter Behauptungen von egalitärem Drängen, zu Zeiten in religiösen, zu anderen in weltlichen Ideologien, wie z.B. dem Buddhismus, dem Christentum, dem Islam oder zuletzt dem Marxismus. Auf der anderen Seite führte persönliche Habgier innerhalb des sozialen Prozesses von Wachstum und Wandel zu umfassenden Ungleichheiten.

Offensichtlich ist Demokratie also vielen Formen der Aneignung gegenüber offen. Die westliche, liberale Vorstellung von Demokratie zu bevorzugen bedeutet, deren triumphales Versprechen hervorzuheben, was diese besonders verletzlich macht. Der dieser Vorstellung angeborene Ehrgeiz zur Hegemonie stellt sie in einen unendlichen Konflikt mit einer Vielfalt von historischen Entwicklungsmustern weltweit, jedes davon mit einem legitimen Anspruch auf die "Demokratie", und geht von ihrem übergeordneten Dasein innerhalb dieses sich ständig ändernden globalen Szenarios aus.

Ein zweites Problem ist, dass in der gesamten Geschichte individuelle Gewinnsucht der Hauptantrieb für Wandel war. Kann eine Alternative hierzu erdacht werden? Karl Marx dachte an eine Alternative durch die Abschaffung des Privatbesitzes und durch komplette Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Verteilung des Reichtums. Er stellte sich ebenso vor, dass Technologie zunehmend die menschliche Arbeit, und graduell menschliches Eingreifen insgesamt, innerhalb der ökonomischen Produktion ersetzen würde. Während seine zweite Vorstellung in gewissem Grade Wirklichkeit wird, geriet die Ersetzung des Prinzips der Selbstausbeutung durch das Prinzip der Vergesellschaftung als Antrieb der Produktion zum Desaster. Beendet diese Erfahrung jedoch die Suche nach einer Alternative zu persönlicher Bereicherung als dem Antrieb für wirtschaftliche und soziale Entwicklung?

 

Impressum

Documenta11
Friedrichsplatz 18
D-34117 Kassel
Fon +49.561.70 72 70
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Künstlerischer Leiter
Okwui Enwezor

Geschäftsführer
Bernd Leifeld

Co-KuratorInnen
Carlos Basualdo, Ute Meta Bauer,
Susanne Ghez, Sarat Maharaj,
Mark Nash, Octavio Zaya

Leiter der Kommunikation
Markus Müller

Projektleiterin
Angelika Nollert

 

 

Plattform1: Democracy Unrealized (Demokratie als unvollendeter Prozess)

in Berlin ist eine Zusammenarbeit der Documenta11 mit dem Haus der Kulturen der Welt und dem DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst

Konzeption
Okwui Enwezor, Künstlerischer Leiter Documenta11

Wissenschaftliche Beratung und Kontakte
Oliver Marchart und Charity Scribner

Redaktion
Markus Müller, Angelika Nollert, Christian Rattemeyer

Gestaltung
Ecke Bonk und atelier grotesk

Besonderer Dank an:

Dr. Hans-Georg Knopp, Generalsekretär, Haus der Kulturen der Welt
Dr. Peter C. Seel, Bereichsleiter Literatur, Gesellschaft und Wissenschaft, Haus der Kulturen der Welt
Susanne Sporrer, Bereichsleiterin Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Haus der Kulturen der Welt
Dr. Friedrich Meschede, Referent für bildende Kunst innerhalb des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
Dany Beier, Gert Fietzek, Timo Kappeller, Stephanie Mauch, Christian Rattemeyer, Karin Rebbert, Nadja Rottner, Andreas Seiler, Antonia Simon und Tanja Wunderlich, Team Documenta11, Kassel

 

Aktuelle Informationen erhalten Sie unter
www.documenta.de

Drucklegung 09/01, Änderungen vorbehalten

Mit freundlicher Unterstützung von

(logos HKW, DAAD, Kulturstiftung der Länder)

Das Haus der Kulturen der Welt wird gefördert durch das Auswärtige Amt und den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien

 

 

 

11.11.2001

Die globale Suche nach Spiritualität: Buddhismus und "New Age"

Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe "Zukunft der Religionen im Haus der Kulturen der Welt (www.hkw.de) in Zusammenarbeit mit dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Dr. Johannes Rau.

Es diskutieren:
- Susumu Shimazono, Professor für Religious Studies, University of Tokyo (per Videokonferenz aus Tokyo zugeschaltet)
- Winston Davis, Department for Religious Studies, Washington University
- Hartmut Zinser, Professor für Religionswissenschaft, Freie Universität Berlin
- Moderation: Bernd Jost, Lektor, Rowohlt Verlag, Hamburg

Weitere Informationen und Liveuebertragung unter: http://www.hkw.de/deutsch/kultur/+frame_zukunft.html

 

 

 

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