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Staatliche Kunsthalle KarlsruheHans-Thoma-Straße 2
76133 Karlsruhe
Tel. 0721 - 926 31 88; Fax 0721 - 926 67 88
E-mail: info@kunsthalle-karlsruhe.de
Di - So 11 - 18 Uhr, Mittwoch 11 - 20 Uhr
http://www.kunsthalle-karlsruhe.de/
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition
25.03. - 18.06.2000
Max ErnstZwischen Traum und Wirklichkeit
Bücher und Graphik aus der Sammlung Bolliger
Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe zeigt druckgraphische Werke von Max Ernst (1891-1976). Der Schweizer Sammler Hans Bolliger kaufte 1943 erstmals ein Werk des deutschen Surrealisten: "Une semaine de bonté". Bolliger erstand diesen weltberühmt gewordenen Collageroman damals für ganze 35 Franken. "Das aus 5 Heften bestehende Werk schockierte und faszinierte" den Sammler zugleich, und bald hatten auf seinen "Streifzügen durch die Antiquariate und Buchhandlungen" die Werke von Max Ernst absolute Priorität. Bolliger kaufte von Ernst "jedes wichtige Buch und jedes Graphikblatt", selbst wenn er es schon mehrmals besaß. 1953 lernte der Sammler den Künstler endlich persönlich in der Schweiz kennen. Auch dank dieser freundschaftlichen Verbindung entstand eine der wichtigsten Sammlungen der Druckgraphik und illustrierten Bücher von Max Ernst. Hans Bolliger übergab diesen Schatz der Moderne Ende der achtziger Jahre an das Kunstmuseum Bonn.
Aus diesem einzigartigen Bestand zeigt die Staatliche Kunsthalle unter anderem "Les malheurs des immortels" (1922), "Histoire naturelle" (1925) "La femme 100 têtes" (1929), "Hans Arp: Gedichte - weißt du schwarzt du" (1930), die Illustrationen zu.René Crevels "Babylon, Mr. Knife Miss Fork" (1931), "Une semaine de bonté ou Les 7 éléments capitaux" (1934), "Antonin Artaud: Galapagos. Les îles du bout du monde" (1955), "Maximiliana ou l'éxercice illégal de l'astronomie" (1964) und "Lewis Carrolls Wunderhorn" (1969). Daneben sind rund zwanzig Einzelblätter zu sehen.
Max Ernsts Bücher gehören zu den Inkunabeln der Illustrations-Kunst dieses Jahrhunderts. In "Les malheurs des immortels" etwa manifestitiert sich seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem surrealistischen Dichter Paul Eluard. "Les malheurs des immortels" entstand als literarisch bildnerische Gemeinschaftsarbeit. Max Ernst - schon seit Dada-Zeiten und lebenslänglich leidenschaftlich verliebt ins Spiel mit Worten und Assoziationen - wirkte hier auch an der Entstehung der poetischen Texte mit. Die Ausstellung repräsentiert 'in ihrer Auswahl eine Vielzahl surrealistischer Schlüsselthemen und wesentliche avantgardistische Techniken und Strategien der Bildfindung.
In der "Histoire naturelle" begegnet der Besucher zum Beispiel der "Frottage", deren Entdeckung Ernst 1925 so schilderte: "Ich befand mich nun an einem regnerischen Abend in einem Gasthaus am See. Da suchte mich eine Vision heim, die meinem faszinierten Blick die Fußbodendielen aufdrängte, auf denen tausend Kratzer ihre Spuren eingegraben hatten. Ich beschloß, dem symbolischen Gehalt dieser Heimsuchung nachzugehen und, um meine meditativen und halluzinatorischen Fähigkeiten zu unterstützen, machte ich von den Fußbodendielen eine Serie von Zeichnungen, indem ich auf sie ganz zufällig Papierblätter legte und diese mit einem schwarzen Blei rieb. ... Da taten sich vor meinen Augen auf. menschliche Köpfe, Tiere, eine Schlacht, die mit einem Kuß endete (die Windsbraut), Felsen, das Meer und der Regen..."
Der intensiven und inspirierenden Auseinandersetzung mit dem Prinzip Collage verdanken sich die Bildromane "La femine 100 têtes" und "Une semaine de borit&'. Beide Bildfolgen gehören zu den rätselhaftesten und faszinierendsten Manifestationen des Surrealismus. Durch lose und verschlungene Handlungsfäden verknüpft, ermöglichen sie immer wieder neue Entdeckungen und Deutungen. Max Ernst hat in diesen Werken Bilder für Traum, Trieb und dämonische Verwandlungen gefunden, für Initiationsreisen und Übergangsmomente, mythische, religiöse und erotische Begegnungen, in deren Umkreis die Gesetze der Logik und der Natur außer Kraft gesetzt werden.Eines der kühnsten und schönsten Künstlerbücher des 20. Jahrhunderts wurde Max Ernsts "Maximiliana": Das Werk erschien 1964 und enthält einige der fulminantesten Farbradierungen des Künstlers. Es entstand in Zusammenarbeit mit Ilya Zdanvitch, genannt Iliazd, einem russischen Dichter und Typographen. Die "Maximiliana" ist dem Astronomen Ernst Guillaume Leberecht Tempel gewidmet. Tempel, ein Autodidakt, der Deutschland verlassen hatte, weil ihm hier die Anerkennung für seine wissenschaftlichen Leistungen versagt geblieben war und der den Himmel schließlich von einer Stemwarte in Marseille aus erkundete, galt Ernst, dem Exilanten, als Identifikationsfigur. "Tempel", sagte Ernst, "hatte Genie, aber kein Diplom". Der Astronom würde 1870/71 zur Flucht aus Frankreich nach Italien gezwungen. Selbst das Recht, den von ihm entdeckten Planetoiden zu benennen, wurde ihm streitig gemacht. Bis zur Jahrhundertwende hieß der Himmelskörper"Maximiliana", dann wurde er in Deutschland mit dem Namen "Cybele" belegt. Ernsts "Maximiliana" feiert den himmelstürmenden Forscherdrang, die Phantasie der Visionäre und Einzelgänger. Seine Radierungen nehmen spontane Elemente des Dripping auf das gekleckste und gespritzte Ergebnis lässt den Blick in den Kosmos assoziieren, das forschende Sehnen nach Sternen, Milchstraßen und unergründeter Unendlichkeit. Mit diesen Bildern werden Seiten voll kryptischer Schriftzeichen konfrontiert, scheinbar hieroglyphisch verschlüsselte Textblöcke: Max Ernst entwickelte eine Geheimschrift, die sich teilweise der Lesbarkeit öffnet, andernteils aber auch ornamentales Rätsel bleibt.
Ernsts druckgraphisches Werk ist immer wieder auch ein Versuch, die Grenzen des Verstehens aufzuzeigen oder aber durch Blickwechsel zu erweitern. Seine bildnerischen Phantasien entzünden sich sowohl an Natur als auch an Technik, an Vorzivillsatorischem und der bürgerlichen Gesellschaft der Moderne, im Blick aufs Kosmische oder Organische, an Modellen und Erkenntnissen der Wissenschaft oder individual-psychischen Erfahrungen, an sozialen Phänomenen und intimen Passionen. Indem Max Ernst Subjektives und Kollektives poetisch zu vermitteln suchte, schuf er eine zeitlos frappierende Bildwelt von unerschöpflichem Reichtum.
Es erscheint ein Katalog mit einem Text von Dr. Gert Reising (40 Seiten, 17 Abbildungen für ca. 10 Mark.)
Eröffnung: 24.03.2000, 19 Uhr